Freitag, 19. April 2024

PP Serie Islam erklärt: Wie entsteht Recht im Islam – Scharia, Fiqh und Fatwa

„Mißbrauch der Religion“ ist der Standardsatz der Islam Apologeten, den Islamkritiker gebetsmühlenhaft zu hören bekommen. Islamisches Recht würde falsch verstanden. Philosophia Perennis lässt den Islam selbst zu Wort kommen. Bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.

Wie entstehen verbindliche Dogmen im Islam?
Wer legt sie fest?
Für wen gelten sie?
Stimmt es, dass der Islam so vielfältig ist, dass man keine allgemein gültigen Aussagen machen darf?
Und überhaupt: dürfen Kuffar, „Ungläubige“ sich dazu äußern?

Zur letzten Frage zuerst: das kommt darauf an, welches Recht für die sich Äußernden gilt.
Ich habe Glück, für mich gilt das Grundgesetz und damit darf ich.
Ist es sinnvoll, wäre die zweite Frage.
Natürlich ist es das. Die Islamisierung unserer Gesellschaft zwingt uns fast schon dazu. Das gängige Gegenargument „Nichtmuslime haben keine Ahnung“ ist natürlich nur vorgeschoben.
Von den genau den Menschen, die auf die Forderung „nur Nazis dürfen etwas zum Faschismus sagen“ vermutlich höchst entrüstet reagieren würden.
Zu Recht übrigens.

Wie entsteht in der islamischen Welt „Recht“?

Beginnen wir mit den Begriffen.
Scharia ist, nach islamischem Verständnis das göttliche Gesetz, welches im Koran und den Hadithen, also den Lehren und dem Vorbild Mohammeds, niedergelegt ist und wird als das unveränderliche, direkte Wort Allahs angesehen.
Weitere Quellen, wir würden sagen: Methoden, sind Qiyas – Analogschlüsse und Ijma – Übereinstimmung
Ijma ist sehr interessant, denn der Konsens stellt ein regulierendes Element in der Vielstimmigkeit der Interpretation dar. Kann man sich die diversen religiösen Autoritäten als Zentrifugalkräfte vorstellen, so wirkt Ijma diesen Kräften als Anziehungskraft entgegen und sorgt für eine Art Allgemeinverbindlichkeit.

Fiqh ist islamische Rechtssprechung, welche aus der Scharia Rechtssätze ableiten. Dies, so herrschende Meinung, wird im Koran vorgeschrieben und zwar in Sure 16:43 „so fragt die, welche die Ermahnung besitzen, wenn ihr (etwas) nicht wisset“.

Fatwa ist ein Rechtsspruch basierend auf islamischem Recht, der Scharia.
Fatwas binden die Anhänger des jeweiligen Rechtsgelehrten.
Davon unterschieden ist der weniger bekannte Hukm. Darunter versteht man die Anwendung allgemeiner Rechtssprüche auf konkrete Fälle. Hukm binden alle im Rechtsspruch erwähnten Parteien.
Beiden gemeinsam ist, dass sie Anspruch auf absolute Befolgung haben.

Islamische Rechtsschulen – die Denkfabriken

Wenn es um die Frage geht, welche Grundsätze der Islam zu einer Frage vertritt, dann sind die Rechtsschulen gefragt.
Rechtsschulen sind historisch gewachsene, meist methodisch unterschiedene Interpreten der Scharia. Eine Aussage über den Islam ohne Bezug auf sie ist sinnlos.
Welche Rechtsschulen relevant sind, ist im Großen und Ganzen unumstritten.
Im Bereich des sunnitischen Islams, der fast 90% der Muslime umfasst, sind es vier, bei den Schiiten, der mit etwas über 10% zweitgrößten Gruppe, zwei.
Selbstverständlich gibt es Minderheitsmeinungen, die eine andere Anzahl als richtig ansehen oder auch andere Gruppen noch berücksichtigen.

Reduktion auf des Wesentliche: Unverzichtbar für Islam Verständnis

Diejenigen, die eine Diskussion über Islamisierung vermeiden wollen oder auch das Erkennen allgemein gültiger Aussagen, führen meist die Vielfalt und die Abwesenheit einer „Zentralinstanz“ ins Feld und behaupten, dass das Thema zu vielschichtig sei, um überhaupt allgemein diskutiert zu werden.
Ziel ist dabei natürlich, eine Diskussion überhaupt zu verhindern.
Denn das Spannungsfeld Detail – Allgemeingültigkeit ist ja ein fast immer auftretendes Problem und damit kann man selbstverständlich vernünftig umgehen.
Was aber in anderen Gebieten problemlos getan wird, soll beim Islam nicht funktionieren?
Es ist außerdem eine im Christentum begründete Weltsicht. Nur weil wir einen Papst haben, heisst das nicht, dass dessen Abwesenheit keine allgemeinere Aussage möglich macht. Bei den Protestanten kann man das ja schließlich auch.
Wir erkennen: wer behauptet, man könne über den Islam keine allgemein gültigen Aussagen treffen, will etwas bezwecken.
Für uns aber gilt Immanuel Kant:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude!
Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Auch Muslime sind keine Islamgelehrten

Wenn wir wissen wollen, wie der Islam z.B. Homosexualität beurteilt, dann müssen wir nicht Islamwissenschaften studieren.
Wir können das tun, was 1,3 Mrd. Muslime auch tun: wir sehen uns an, was gelehrt wird. Und dadurch wird auch klar, warum das Argument „versteht nichts davon“ nur vorgeschoben ist. Denn wir geben ja keine eigene Koraninterpretation zum Besten, wofür die Meisten sicherlich nicht qualifiziert sind.
Wenn wir wissen wollen, ob es wesentliche Unterschiede gibt, sehen wir uns  zusätzlich an, ob es zwischen den beiden Hauptrichtungen, Sunni und Schia, bzw. zwischen den wichtigsten Rechtsschulen Unterschiede gibt.
Damit sind wir bei allgemein gültigen Erkenntnissen.

Drei Ebenen: Ideologie – Umsetzung in staatliches Recht – individuelles Leben

Wer jetzt mit dem freundlichen Gemüsehändler um die Ecke gegenhält, unterliegt einem Irrtum. Denn das wäre eine andere Betrachtungsebene.
Übergeordnet ist jedoch die Ideologieebene und ausschließlich um diese geht es, wenn es um „den Islam“ geht.
Darunter ist die Ebene der Gesellschaft, die Frage wie viel von „dem Islam“ wird umgesetzt in staatliches Recht, gesellschaftliche Regeln, etc. .
Und dann erst kommt die Ebene der 1,3 Mrd. Muslime. Und hier ist es natürlich vielfältig. Die Spannweite reicht vom IS Schlächter bis zum denen, die nur noch formal ohne innere Bindung islamisch sind und zwischendrin alle Abstufungen. Wer hier -pro oder kontra- Aussagen treffen will, tut dies, abhängig von seinen Belegen, zwischen krassem Vorurteil und gut fundierter, wissenschaftlich abgesicherter Meinung. D.h. auch, dass krasse Vorurteile natürlich auch bei Islamverteidigern vorkommen.

Einen Sonderfall bilden die, immer gerne von Islamapologeten, angeführten sog. Reformer. Ob jetzt Prof. Ourghi oder Seyran Ates oder Andere.
Ich denke, diese Menschen verdienen unseren tiefen Respekt, unsere Unterstützung, aber man muss sich im Klaren sein, dass sie völlig irrelevant sind.
Seyran Ates etwa wurde von der höchsten Autorität des sunnitischen Islams mit einer Fatwa beschieden, dass ihre „religiöse Innvovation“ nicht mit der Scharia vereinbar wäre. Wer also aus diesen Reformversuchen eine Aussage über den Islam ableitet, muss sich bewußt sein, dass er sich damit über die höchsten Autoritäten des Islam stellt.

Islamisches Recht verstehen – Praxistipps 

Die meisten Differenzen zwischen den Rechtsschulen betreffen Themen, die für uns schlicht unwichtig sind.
Ob jetzt die Dauer einer Menstruation zwischen 1 und 15 Tagen festgelegt wird, wie Hanbali und Shafi es bestimmen oder ohne Mindestlänge (Maliki) oder maximal 10 Tage (Imami) – es muss uns nicht kümmern.

Geht es aber z.B. um Homosexualität, dann sind die Rechtsschulen einig über das strenge Verbot, lediglich bei Strafmaß, wie Auspeitschen,Todesstrafe oder Kastration und Zwang zur Geschlechtsumwandlung ist man sich uneinig.
Was uns wiederum, da wir ja islamisches Recht nicht ins deutsche Strafrecht einbauen wollen, auch nicht interessieren muss.
Interessant bei dieser Frage ist jedoch wiederum eine Fatwa, die uns erklärt, dass ohne Zweifel islamische Gesetze den mensch-gemachten Menschenrechten an „Weisheit und Gerechtigkeit überlegen sind.“ Und wir werden auch in Kenntnis gesetzt, dass Menschenrechte Homosexualität schützen würden, der Islam aber, „die Menschheit vor dem Bösen und den destruktiven Konsequenzen eines solchen abscheulichen Akts schützt.“
Und auf genau diese Weise kann man bei jedem interessierenden Thema verfahren. Oder sind wir ungebildeter als die 1,3 Mrd. Muslime, so dass uns dieser Weg verschlossen wäre?

Wie man sich praktisch Übersicht über islamisches Recht verschaffen kann?

Die wichtigste Quelle bei den Sunnis ist die Kairoer Al Azhar Universität. Ihr Online Angebot ist gut zugänglich, die Antworten in der sunnitischen Welt ohne Konkurrenz.
Für die Schia ist es die Jaʿfari , die auch durch eine Fatwa der Al Azhar akzeptiert wurde.
Hier an Quellen zu kommen ist etwas schwieriger. Immer hilfreich ist es nach Khomeini mitzusuchen. In der Praxis ist es aber wenig relevant, bedingt durch den relativ geringen Anteil der Schiiten an der Islamisierung Europas.

Wir beginnen mit diesem Artikel eine Serie über gültiges und aktuelles islamisches Recht zu diversen Themen. Wir wollen damit unseren Lesern ermöglichen sich selbst ein Urteil zu bilden und den zahlreichen falschen Behauptungen von Regierungsseite, den Mainstreammedien oder auch Missionaren entgegentreten.

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Patrizia von Berlin
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Für die Freiheit nicht lügen zu müssen. Eine Lebensweisheit, die ich vor vielen Jahrzehnten von Reiner Kunze (Die wunderbaren Jahre) erhielt. Ich lernte, was das Wichtigste für ihn war, als er in den freien Westen ausgesiedelt wurde. Nicht Reisen, nicht die Genüsse der Welt. "Dass ich nicht mehr lügen muss", war seine Antwort.

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