Freitag, 19. April 2024

Sind wir zu feige zum Kulturimperialismus?

Ein Gastbeitrag von Marcus Franz

Die Europäische Zivilisation versteht sich als die am besten entwickelte und humanste der Welt. Mit gutem Grund: Immerhin wurde in Europa nicht nur das Abendland erfunden, in unserem okzidentalen, durch Antike und Christentum geprägten Kulturraum fand auch die Aufklärung statt. Hier wurde der Rechtsstaat in seinen Grundzügen festgelegt und auf dem europäischen Kontinent sind die ältesten Demokratien der Welt zu finden.

Wir Europäer kennen Meinungsfreiheit, freie Wahlen, Bürgerrechte, Sozialstaat, innere Sicherheit in den Nationen, Religionsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz.

Die Verpflichtung Europas

Das alles ist uns Europäern seit Jahrzehnten bewusst und unzählige Politiker, Autoren und Journalisten erinnern in Essays und Sonntagsreden stets gerne daran. Oft ist auch die Rede davon, dass diese glückliche Entwicklung, die dem Bürger erst seine volle Entfaltung ermöglicht, auch eine besondere Verpflichtung darstellt: Europa sollte anderen Regionen dieser Welt als leuchtendes Beispiel dienen und tut dies in vieler Hinsicht auch.

Mission? Verbreitung?

Sobald wir uns aber aktiv zu diesen vorteilhaften Entwicklungen und Errungenschaften bekennen, verlässt uns der Mut. Keine europäische Demokratie ist in den letzten Jahren je auf die Idee gekommen, die „europäischen Werte“ in großem Stil aktiv in die Welt hinaus zu tragen, die Wertigkeit der Werte fällt eher unter die Begriffe Nabelbeschau und Selbstreferenz. Auf diese Art ist eine nachhaltige Verbreitung kaum möglich.

Der Begriff der Mission ist sogar für die katholische Kirche, für die sie seit Petrus den fundamentalsten Grundauftrag darstellte, zwischenzeitlich eine Angelegenheit geworden, die zumindest fragwürdig, sicher aber respektlos anderen Kulturen gegenüber und irgendwie als implizit gewalttätig, überheblich und daher als obsolet gilt.

Aus Toleranz wurde Feigheit

Damit sind wir bei einem europäischen Grundproblem angelangt: Wer nicht zu seinen Werten steht und diese nach außen nicht vertritt, muss für seine Schwächen Rechtfertigungen suchen. Diese wurden unter dem Decknamen Toleranz und Respekt gefunden. Ursprünglich waren diese Begriffe einmal wichtig und sie bedingen auch die Freiheit des Einzelnen. Aber heute stellen sie keine echte selbstbewusste Haltung mehr dar, sondern sind längst Zeichen einer degenerationsbedingten Feigheit geworden.

Zu Ende gedacht sitzen wir mit unserer aktuellen Passivität und Schwäche in einer tödlichen Falle. Wenn wir davon ausgehen, dass Europa den Hort derjenigen Werte darstellt, die für den Menschen die besten Möglichkeiten bieten, sich frei zu entwickeln, dann sind wir nicht nur verpflichtet, dies laut zu sagen, sondern dann haben wir in einem humanistischen Sinne ja auch den unleugbaren Auftrag, möglichst viele Menschen aus ihrer womöglich nicht immer selbst verschuldeten Unmündigkeit und aus ihrer Unfreiheit heraus zu holen.

Wir sind kein Schaukasten

Europa kann nicht nur als Angebot und als Schaukasten existieren, wo man sich ansehen kann, wie Demokratie und Rechtsstaat funktionieren, denn das wäre im Grunde ein Zynismus jenen gegenüber, die nicht die Möglichkeit haben, ihren eigenen Staat in eine echte Demokratie zu verwandeln. Die „Republik“ (wortwörtlich die Sache der Bürger) bliebe für Außenstehende solcherart unwirklich wie der Inhalt einer dieser kitschigen Glaskugeln, in denen es innen schneit.

Die Schuld, die ewige Schuld

Weil aber Europa durch Jahrhunderte hindurch Kolonialmächte hervorbrachte, die eine imperialistische, expansive und kriegerische Politik samt entsprechenden gewalttätigen Maßnahmen bis tief ins 20. Jahrhundert betrieben und die untrennbar zur Geschichte des Kontinents gehören, trauen wir uns heute nicht einmal mehr, unsere aufgeklärte, wirtschaftliche und soziale Kultur in die Welt hinaus zu exportieren.

Europa ist der Riese, der sich von seiner eigenen Geschichte auf alle Zeiten fesseln ließ.

Die Mittel zur Freiheit

Auch wenn wir wissen, dass die freie Marktwirtschaft und die Demokratie die besten Garanten für eine vorteilhafte Entwicklung sind, hat Europa aus lauter Scham für seine Vergangenheit keine Techniken entwickelt, diese Strukturen in die Welt zu tragen. Der politisch gelähmte Riese darf nur salbungsvolle Rhetoriken benützen, aber niemals mehr aktiv werden, weil er wie weiland Gulliver gut vertäut am Boden liegt.

Die Alternative war fatal

Da man aber wusste, dass man der Welt etwas schuldig ist, kam man dafür im Zentrum des chronischen Schuldbewusstseins, nämlich in Deutschland, auf eine andere, höchst fatale Idee:

Weil  Europa aus den genannten Gründen der Kollektivschuld nicht in die weniger weit entwickelte Welt hinausgehen darf, um diese zu europäisieren, soll doch diese Welt, wo wirtschaftliche Missstände und massive politische Probleme und fragwürdige Weltanschauungen herrschen, nach Europa kommen. „Hier werden sie geholfen!“ – das ist der sozialromantisch-pseudomoralische und irgendwie auch verzweifelte, fast erbärmliche Ruf der Deutschen, der den Hintergrund der gesamten Migrationskatastrophe der letzten Jahrzehnte bildet.

Nur Zerstörung

Wie kontraproduktiv dieser Ansatz ist und welchen zerstörerischen Denkfehler er grundsätzlich beinhaltet, können wir mittlerweile tagtäglich den Nachrichten entnehmen.

Das Messer und das Attentat regieren, mitten in Europa.

Der Respekt, den man seitens Europa anderen Kulturen entgegenbrachte und noch immer entgegenbringt, weil ja alle Kulturen zwar unterschiedlich, aber bitteschön unbedingt gleichwertig sind, hat mitten in Europa eine Unzahl von Parallel-Gesellschaften entstehen lassen. Und in diesen Sozietäten wüten genau jene Weltanschauungen und Haltungen, die man in Europa als überwunden betrachtete und die grundsätzlich diametral den europäischen Werten gegenüber stehen.

Das Dilemma

Unser Kontinent ist nun in der misslichen Lage, den für seine eigenes Überleben immer schon notwendigen Kulturimperialismus, den er nach außen hin aus lauter Schuldgefühlen, falsch verstandenem Respekt und nicht zuletzt aus riesenhafter Feigheit tunlichst vermeiden wollte, nach innen hin konsequent anwenden zu müssen. Tut er das nicht, ist die Existenz des europäischen Modells beim Teufel und das Abendland mit ihm. 

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Der Beitrag erschien zuerst auf dem äußerst empfehlenswerten Blog von Marcus Franz: THE DAILY FRANZ

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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