Freitag, 29. März 2024

Gelber Wackelpudding: Lindner jetzt doch wieder offen für Jamaika

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, der Ende November erst die Jamaika-Verhandlungen definitiv abgebrochen hat und für völlig aussichtslos proklamierte, hält solche nun doch wieder für möglich, falls es zu Neuwahlen kommt. Was steckt in Wahrheit hinter diesem nicht enden wollenden Zick-Zack-Kurs der FDP? Ein Gastbeitrag von Jürgen Fritz.

Montags: Ja vielleicht. Dienstags: Hmm, ich weiß nicht. Mittwochs: 50-50. Donnerstags: Nein, definitiv nein. Freitags: Vielleicht doch. Samstags: Nein, es bleibt beim Nein! Sonntags: Man könnte eventuell schon noch mal miteinander reden. Vielleicht ja doch.

Das ist in etwa das Bild, welches die FDP seit Wochen und Monaten abgibt. Nachdem er vor kurzem erst Wolfgang Kubicki, die Nr. 2 der FDP, zurückgepfiffen hat, Jamaika käme die nächsten vier Jahre auf keinen Fall in Frage, kommen nun schon wieder andere Töne vom FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. Nun hält er erneute Jamaika-Verhandlungen doch wieder für möglich, falls es zu Neuwahlen kommt. „Bei CSU und Grünen gibt es eine neue Führungsmannschaft. In neuen Konstellationen wird neu gesprochen“, sagte Lindner im Interview mit der WirtschaftsWoche. Dabei übernimmt Söder nur in Bayern, Seehofer bleibt der Chefunterhändler der CSU und will sich zukünftig sogar noch mehr auf Berlin konzentrieren, strebt dort ein Ministeramt an. Und auch bei den Grünen ist kaum ein völliger Wechsel der Spitze ersichtlich, so dass Lindners Begründung doch arg an den Haaren herbeigezogen wirkt.

Was steckt hinter diesem nicht enden wollenden Zick-Zack-Kurs?

Entweder Lindner verfolgt einen ganz cleveren Plan, vielleicht so clever, dass ihn kein anderer versteht, zum Beispiel, dass er durchaus eine Jamaika-Koalition will, vorher aber Merkel absägen möchte. Die CDU scheint allerdings nicht so recht willens, ihm diesen Gefallen zu tun, lässt Lindner womöglich am ausgestreckten Arm verhungern, wie schon seine Vorgänger Westerwelle und Rösler.

Oder aber die FDP weiß einfach nicht, was sie wirklich will, hat keinen klaren Kurs und Lindner ist in dem Amt des Parteivorsitzenden, der nicht nur Wahlkampf machen soll, sondern Regierungsverantwortung übernehmen, schlicht überfordert, hat daher Angst davor, an Taten gemessen zu werden und nicht an schönen Reden. Denn reden kann Lindner. Daran gibt es keine Zweifel. Rhetorisch gehört er mit zu den besten Politikern in Deutschland. Doch er hatte mit jetzt fast 39 Jahren noch niemals irgendein Ministeramt inne. Er war noch nie Regierungsmitglied einer Bundes- oder einer Landesregierung.

Verschwindet Lindner immer von der Bildfläche, wenn es ernst wird?

Dabei hatte er dieses Jahr Gelegenheit dazu. Es war Christian Lindner, der die FDP in den NRW-Wahlkampf geführt hat. Schwarz-Gelb konnte bei der Landtagswahl am 14. Mai tatsächlich eine Mehrheit erringen und Rot-Grün das Schlüssel-Bundesland Nordrhein-Westfalen wegnehmen. Was für ein Erfolg! Der ganze FDP-Wahlkampf war fast nur auf Lindner zugeschnitten, der der NRW-Spitzenkandidat seiner Partei war. Aber seltsamerweise zog Lindner es vor, das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten Jochaim Stamp zu überlassen, den bundesweit so gut wie kein Mensch kennt. Warum? Weshalb macht er wochenlang Wahlkampf, der völlig auf seine Person zugeschnitten ist, hat aber nach der Regierungsbildung nichts anderes im Sinn, als das Land so schnell wie möglich Richtung Berlin zu verlassen?

Ähnliches erkennen wir nun nach der Bundestagswahl. Auch hier ein gut geführter Wahlkampf der FDP, ein gutes Ergebnis mit 10,7 Prozent, die Möglichkeit in eine Regierung einzutreten.Das Amt des Bundesfinanzministers und Vizekanzlers wäre ihm sicher gewesen, wenn er nur gewollt hätte. Seine Einflussmöglichkeiten auf die Bundespolitik wären immens gewesen. Finanzminister ist vielleicht das wichtigste Amt überhaupt nach dem Amt des Bundeskanzlers. Doch wieder macht sich Lindner im entscheidenden Moment schnell vom Acker. Die drei anderen Parteien – CDU, Grüne und CSU – meinten übrigens, dies sei vollkommen unnötig gewesen, man hätte sich in sehr vielen Punkten bereits geeinigt gehabt und in den noch offenen Fragen wäre man unmittelbar vor dem Abschluss gewesen. Nun gut, das mag eine parteiische Perspektive gewesen sein. Kritik kam aber auch von anderer Seite.

Viel Kritik für den Abbruch der Jamaika-Verhandlungen auch aus dem wirtschaftliche Mittelstand

Dieses Hinschmeißen im letzten Moment brachte der FDP speziell von seiten vieler FDP- und AfD-Wähler – gerade für Letztere sind Die Grünen in der Bundesregierung ein rotes Tuch – viel Lob ein. Von fast allen anderen Seiten aber noch viel mehr Kritik. CDU, CSU und Grüne und deren Anhänger zeigten sich tief enttäuscht. Wie man so etwas nur machen könne, zwei Monate nach der Wahl, nach etlichen Wochen der Verhandlungen plötzlich alles hinschmeißen. Doch Kritik kam auch von anderer, für die FDP viel wichtigeren Seite: der Wirtschaft.

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft, die Kernklientel der FDP!, forderte die diese schriftlich auf, erneut mit Union und Grünen über ein Regierungsbündnis zu sprechen. „Wagen Sie einen Neustart für eine Jamaika-Koalition!“, heißt es in dem Schreiben von Verbandspräsident Mario Ohoven an alle Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion. Denn wenn die SPD in Verhandlungen über eine neue schwarz-rote Koalition mit der Union ihre Positionen durchsetzen könne, kämen große Belastungen auf die Wirtschaft und die Arbeitnehmer zu. Es sei zwar richtig gewesen, die „Notbremse“ zu ziehen, so Ohoven. Die Sondierungen seien gescheitert, weil die Kanzlerin sich führungsschwach gezeigt habe und keine gemeinsame Vision zu erkennen gewesen sei. Der vollständige Abbruch der Gespräche sei aber ein Fehler gewesen: „Auch zum damaligen Zeitpunkt hätten wir es als Mittelstand jedoch für den besseren und richtigeren Weg gehalten, wenn Sie eine Auszeit eingefordert, jedoch nicht die Tür vollständig geschlossen hätten.“

Weshalb das Kneifen vor der Verantwortung?

Genau dies war auch mein Gedanke am 20. November. Warum schmeißt jemand im letzten Moment alles hin? Man verhandelt doch nicht vier Wochen lang, jeden Tag von früh bis spät und merkt dann plötzlich, es geht doch nicht mit den drei anderen. Noch dazu, wenn klar ist, dass es im Grunde kaum andere Alternativen gibt. Eine Mehrheit hätte sonst nur CDU/CSU + SPD. Also hätten wir erneut, zum dritten Mal in vier Legislaturperioden eine schwarz-rote Regierung – der Ausdruck große Koalition passt ja inzwischen nicht mehr bei knapp über 50 Prozent. Auch eine Minderheitsregierung und Neuwahlen können doch aus FDP-Sicht kaum besser sein, als selbst die eigenen wichtigsten Punkte in einer Regierung durchzusetzen, noch dazu wenn man das Schlüsselministerium der Finanzen für sich beanspruchen kann, wo alles blockiert werden kann, was man nicht mittragen möchte. Warum also das Kneifen vor der Verantwortung im letzten Moment?

Und übrigens bei Neuwahlen wäre nach jetzigem Stand die FDP der größte Verlierer. In den neuesten Umfragen von Forschungsruppe Wahlen, Infratest dimap, Emnid, Forsa und INSA steht die FDP, die im Oktober, November zwischenzeitlich schon bei 11 bis 12 Prozent lag, gerade noch bei 8 bis 9 Prozent, Tendenz eher Richtung 8. Noch zwei, drei gravierende Patzer, dann droht womöglich wie 2013 der Sturz unter 5 Prozent und das wäre wahrscheinlich das völlige Aus für die FDP. Nochmal vier Jahre nicht im Bundestag vertreten sein, würde sie womöglich nicht überleben, da dann die ganzen Gelder verloren gingen, die den im Bundestag vertretenen Parteien zustehen. Zumal die FDP auch bereits in sechs Landesparlamenten keinen einzigen Sitz mehr den ihren nennen darf.

Entwickelt sich Lindner immer mehr zum größten Hetzer neben Rolf Stegner?

Doch zurück zu Lindner, der die Partei seit nun vier Jahren anführt. Seine Vorgänger, Westerwelle und Rösler, beide auch Vizekanzler, blieben als Minister vollkommen blass. Merkel ließ sie wie gesagt am ausgestreckten Arm verhungern. Anschließend spielten sie in der Politik nie wieder eine Rolle. Nachdem sie Verantwortung als Bundesminister übernommen hatten, waren sie als Politiker für immer entzaubert.

Mein Eindruck: Es fehlte beiden letztlich an Substanz. Und Lindner? Er erschien mir schon vor zehn Jahren als das vielleicht größte Politik-Talent in Deutschland, doch vielleicht fehlt es auch ihm an inhaltlicher, charakterlicher und auch intellektueller Substanz. Zum Charakterlichen: Sehr unschön beispielsweise seine wirklich schlimme Hetze gegen die AfD, eine demokratisch gewählte Partei, die sich im Gegensatz zur FDP für mehr direkte Demokratie und Abbau des Lobbyismus einsetzt, also ganz im Interesse des Volks agiert. Lindner sagte diese Tage wörtlich:

„Die AfD ist wie Schimmel zu Hause. Ist er einmal da, ist es schwierig, ihn loszuwerden.“

Schimmel, was für eine Metapher! Was macht man mit Schimmel? Wie man so etwas als verantwortungsbewusster Demokrat sagen kann, ist völlig unverständlich, vor allem angesichts all der Gewalt, die gerade AfD-Mitglieder seit langem erfahren, siehe jüngst den Fall in Leverkusen, wo ein AfD-ler mitten in der Nacht zuhause überfallen, die Tür samt Rahmen von mehreren Vermummten aus der Wand gebrochen, er mit großen Steinen beworfen und mit einem Messer bedroht und verletzt wurde. Lindner hat sich damit zu einem der schlimmsten Hetzer neben Rolf Stegner entwickelt.

Rhetorisch geschickt kaschierte Rückzugsgefechte

Ansonsten bleibt die Frage, ob es letztlich nicht einfach die Angst vor der Übernahme von Regierungsverantwortung ist, die die FDP und speziell Christian Lindner so chaotisch agieren lassen. Denn wer regiert, der muss Entscheidungen treffen und wird damit immer vielen auf die Füße treten müssen, der macht sich zwangsläufig bei Teilen der Bevölkerung unbeliebt. Das ist etwas völlig anderes als geschmeidige Reden halten und auswendig gelernte Sprüche aneinanderreihen, von denen man genau weiß, dass sie bei der Mehrheit gut ankommen.

Hingeschmissen hat Lindner übrigens bereits vor sechs Jahre das erste Mal. Seit Dezember 2009 – die FDP war nach ihrem sensationellen Wahlergebnis von fast 15 Prozent gerade in die schwarz-gelbe Regierung eingetreten – war er FDP-Generalsekretär. Nach ein, zwei Jahren war klar, dass die FDP in der Regierung so gut wie nichts zustande bringt und die Partei gab ein jämmerliches Bild ab. Es war schon in der Halbzeit deutlich, dass es bei der nächsten Wahl enorm schwer werden würde für die „Freien Demokraten“. Und was machte Lindner als Generalsekretär, der den schlechten Zustand der Partei maßgeblich mit zu verantworten hatte? Er gab sein Amt im Dezember 2011, 21 Monate vor der nächsten Bundestagswahl, in welchem die FDP über zwei Drittel ihrer Wähler verlor!, auf. Er schmiss schnell hin, so dass er später nicht für das Wahldebakel verantwortlich gemacht werden konnte. Eines scheint Lindner auf jeden Fall zu beherrschen: rhetorisch geschickt kaschierte Rückzugsgefechte.

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jc3bcrgen-fritz-19-10Zum Autor: Jürgen Fritz studierte in Heidelberg Philosophie, Erziehungswissenschaft, Mathematik, Physik und Geschichte für das Lehramt. Nach dem zweiten Staatsexamen absolvierte er eine zusätzliche Ausbildung zum Financial Consultant unter anderem an der heutigen MLP Corporate University. Er arbeitete etliche Jahre als unabhängiger Finanzspezialist. Außerdem ist er seit Jahren als freier Autor tätig. 2007 erschien seine preisgekrönte philosophische Abhandlung „Das Kartenhaus der Erkenntnis – Warum wir Gründe brauchen und weshalb wir glauben müssen“ als Buch, 2012 in zweiter Auflage. Seit 2017 betreibt er schwerpunktmäßig seinen Blog JÜRGEN FRITZ. Hier erschien der hier veröffentlichte Beitrag zuerst.

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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