Freitag, 29. März 2024

„Tötet Philipp Ruch!“

(Ed Piper) Tötet Philipp Ruch! Ein Mordaufruf? Nein, da haben sie mich missverstanden: Das ist nur Kunst!

Aber von vorn.

Ich muss gestehen, dass ich Philipp Ruch und seinem Projekt „Zentrum für politische Schönheit“ gegenüber nicht unvoreingenommen bin. Bereits vor Jahren hatten wir uns einmal leicht in die Haare bekommen, da ich es unterband, dass er eine Abbildung, die als Werbung für die Partei die Grünen hätte fungieren können, in einem von mir publizierten Kunstkatalog unterbrachte. Da ich ihm jedoch trotzdem eine Präsentation bei einer größeren Ausstellung in Berlin gesponsert hatte, schien die Stimmung zunächst wieder im Lot. Doch nachdem er mir dann ein paar Jahre später auf der Straße über den Weg lief und ich mich erdreistete ihn kritisch auf die von ihm Veranlasste Schändung des Mahnmals für Mauerflüchtlinge in Berlin anzusprechen, war das wieder vergessen. Er verwandelte sich stante pede in einen wahren Wüterich und zog unflätig gestikulierend und schimpfend eilenden Schrittes von dannen. Dabei hätte ich ihn gerne auch noch etwas zur Auszeichnung seiner Schändungs-Kunst mit dem Preis der von der ehemaligen Stasi geleiteten Amadeu Antonio Stiftung gefragt. Doch dazu kam es nicht mehr.

Und so geriet er in Vergessenheit. Zwar sorgte er hin und wieder für Aufmerksamkeit – mal rief er dazu auf Roger Köppel, Chefredakteur und Verleger des Schweizer Wochenmagazins „Die Weltwoche“ zu töten, mal wurde eine Tiertötung im Dortmunder Zoo angekündigt – doch das Spiel mit der notorischen Grenzüberschreitung begann mich zu langweilen. Immerhin, so dachte ich mir, schien sein Geschäft recht gut zu laufen. Denn sein internationaler Livestyle sowie die Folgekosten seiner Aktionen erschienen mir nicht unerheblich. Allein die Instandsetzung der Verwüstung der Wiese vor dem Reichstag, die er als „Gräberausheben für im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge“ deklariert auf der kurz zuvor für 45.000,- Euro neu angelegten Fläche initiiert hatte, dürfte nicht billig gewesen sein. Aber sei es drum. Vielleicht musste er das auch gar nicht selber begleichen. Denn in Berlin drückt man bei politischen Günstlingen gerne mal alle Augen ganz fest zu.

Aktuell hat er es nun wieder einmal in die Presse geschafft, die seine neuste Aktion euphorisiert über sämtliche Kanäle hypt. Dabei geht es um ein Projekt namens deine-stele.de, das maßgeblich darin besteht, auf dem Nachbargrundstück des AfD-Politikers Björn Höcke, in Thüringen, 24 graue Stelen zu errichten, die wie Beton aussehen sollten, um eine Nachbildung des in Berlin befindlichen Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, kurz Holocaust-Mahnmal, darzustellen. Das von Peter Eisenman errichtete Mahnmal besteht zwar aus insgesamt 2711 exakt ausgerichteten Beton-Stelen, die auf Sarkophage verweisen und sieht auch nicht aus wie eine Bastelarbeit. Doch so genau nimmt Ruch das augenscheinlich nicht: Hier tut es auch Pappmaché. Und überhaupt habe ich den Eindruck, dass hier die Themen Holocaust und Antisemitismus eher instrumentalisiert werden, um die eigene Aktionskünstleragenda zu pushen. Denn der Stein des Anstoßes, Höckes Erwähnung des Mahnmals als „Mahnmal der Schande“ ist schon knapp ein Jahr her und längst schon ausdiskutiert. Zwar hatte ich selbst mich im besagten Fall bereits hinlänglich und kritisch zur Causa Höcke geäußert, bin also absolut kein Höcke-Fanboy doch mit Verlaub: Der Fail Höckes bestand damals nicht darin, den Holocaust als Schande bezeichnet zu haben. Denn, ganz ehrlich, wenn selbst der Holocaust für eine Gesellschaft, die ihn hervorbrachte, keine Schande gewesen sein soll, was dann? Aber darum ging es weder damals in Höckes Rede im Rahmen einer Veranstaltung der Jugendorganisation „Junge Alternative“, im Dresdner Ballhaus, vor geschätzt 500 Anwesenden, noch scheint es heute irgendjemand zu interessieren. Schon gar nicht die um Aufmerksamkeit bemühten Polit-Aktivisten um Philipp Ruch. Denn neben einer unsäglichen Aneinanderreihung abgedroschener Schlagworte ist auch auf deren Netzseite zum Projekt keine wirkliche politische Auseinandersetzung mit dem Thema zu finden. Dafür zeigt man sich, was das Shoah-Gedenken anbelangt unglaublich flexibel und bringt im gleichen Projekt auch noch Verweise auf die bisher ungeklärten NSU-Fälle unter: Diese müssen als für alle mit der Materie Befassten äußerst fragwürdig erscheinende Argumentation dafür herhalten, weshalb man Höcke nun nicht nur 24 Parmaché-Quader in den Nachbargarten pflanzte, sondern ihn und seine Familie zudem rund um die Uhr mit mit mehreren Kameras überwachte und seinen Tagesablauf protokollierte. Seit rund einem Jahr wurde er beschattet, verfolgt, fotografiert und gefilmt. Der private Hausmüll der Familie wurde in der Hoffnung auf mögliche intime Informationen durchwühlt, Gegenstände wurden entwendet, kurz: Es wurde das totale Psycho-Stalking-Programm für die ganze Familie abgefeiert. All das hat nun zwar mit einem Holocaust-Gedenken höchstens insofern noch zu tun, als dass es an die Methoden der Gestapo – oder hier wohl eher der Stasi – erinnert, doch Ruch nimmt das locker: Er bekundet „Nazis mit Nazimethoden bekämpfen“ zu wollen. Und weil er es mit den Nazimethoden auch so wirklich Ernst meint, mussten halt auch die Ehefrau und die vier Kinder Höckes unter seinem Wahn leiden. Denn Nazimethoden sind nun einmal Nazimethoden und Sippenhaft ist nun einmal Sippenhaft.

All das mutet nun wahrlich erschreckend an und ist lediglich dazu geeignet, sich als Demokrat umgehend mit der Familie Höcke zu solidarisieren. Wir erinnern uns noch an den Vorfall einer rechten Demonstration, die vor der Wohnung der Linke-Politikern Petra Pau vorbeizog und die Presse unisono aufschrie. Der Spiegel zitierte sie mit den Worten „Es war gespenstisch“ und forderte einen besseren Schutz für Politiker. Andere Medien stimmten mit ein. Kurz zuvor war ein Bürgermeister aus Sachsen-Anahlt zurückgetreten, weil Rechte vor seinem Wohnhaus demonstrieren wollten und hatte landesweite Solidarität erfahren. Deshalb hätte man nun einen angesichts der schier unglaublichen Sachlage im Fall von Familie Höcke einen umso lauteren medialen Aufschrei erwarten dürfen. Doch weit gefehlt! Stattdessen wird das einjährige Familien-Stalking von etlichen Medien beworben, als hätten sie jeden Bezug zu Rechtsstaat und Demokratie verloren. Im Spiegel veröffentlicht Arno Frank einen ausufernden Jubel-Beitrag samt werbewirksamer Verweise zur Ruch-Truppe und die ZEIT wartet in der Überschrift mit Lea Rosh als Fürsprecherin des jegliche Grenzen der Persönlichkeitsrechte überschreitenden Projektes auf: Dabei lässt sie leider unerwähnt, dass sich die in einer protestantischen Familie gebürtige Edith Renate Ursula Rosh um das Jahr 2001 wegen übereifriger Werbung für das Holocaust-Mahnmal selbst heftiger Kritik stellen musste. „Den Holocaust hat es nie gegeben„, ließ sie – als Provokation – in großen Lettern auf riesige Plakatflächen drucken. Das kam nicht bei allen gut an. Und so reagierten Überlebende des Holocaust eindeutig: Sie stellten Strafanzeige wegen Volksverhetzung.

Vor diesem Hintergrund kann Frau Rosh nun eventuell nicht mit der allerbesten Reputation als Fürsprecherin für Ruchs Aktion aufwarten. Jedoch, immerhin fügt sie sich gut in den Reigen der ansonsten am Projekt Beteiligten.
Denn ebenfalls mit von der Partie ist Shahak Shapira, seines Zeichens gleichfalls äußerst aufmerksamkeitsbedürftigerAktionskünstler“, der sich Anfang diesen Jahres einiger Kritik wegen seines pietätlosen „Yolocaust„-Projektes ausgesetzt sah. Er meinte Leichenberge von KZ-Häftlingen in die Andenken-Fotos von Mahnmals-Besuchern montieren zu müssen. Natürlich alles nur mit höchst moralischem Anspruch. Und so war ihm der hiesige mediale Beifall sicher. Nur als er daraufhin vom offiziellen Auschwitz Memorial eine Rüge samt Bildungsvorschlag kassierte, interessierte das hierzulande niemanden mehr.

Nun wirbt er online für ein von ihm gesprochenes „Audio-Walk“ auf der Netzseite des Ruch-Projektes. Und auf eine ganz unangenehme Weise passt das alles ganz wunderbar zusammen. Denn es scheint, als übe das Shoah-Gedenken eine geradezu magnetische Kraft auf minderbegabte Kunst-Darsteller aus. Dies könnte eventuell daran liegen, dass sich hierzulande kaum jemand traut, auch Arbeiten zu diesem Thema kritisch zu begegnen. Dabei müsste man, sofern wenn man das Thema ernst nähme, gerade hier den einen oder anderen kritischeren Blick in der Beurteilung der Arbeiten walten lassen. So könnte man sich, um beim Thema zu bleiben, beispielsweise einfach einmal anschauen, mit wem man es mit Philipp Ruch als Kunst-Impresario überhaupt zu tun hat. Denn Ruch, der ja im Zentrum des aktuell äußerst zweifelhaften Unterfangens steht, veröffentlichte unter dem Titel „Wenn nicht wir, wer dann“ bereits im Jahr 2015 sein „Politisches Manifest“, in dem er kein Hehl daraus macht, wes Geistes Kind er ist.

In der linken jungle.world lesen wir dazu

Mit der autoritären Sehnsucht nach starken Lenkern, dem wutschäumende Antimodernismus, der dumpfen Abscheu vor der Psychoanalyse und dem Drang nach Tat und Erlebnis, um nur einige Leidenschaften Ruchs zu nennen, bedient er sich so reichhaltig aus dem Arsenal der extremen Rechten, als befände er sich im Jahr 1925 und wolle sich an die Spitze der sogenannten Konservativen Revolution schreiben.

Im Spiegel heißt es zwar etwas versöhnlicher

Zum anderen entwickelt sich, je länger man Ruchs Menschenbild sacken lässt, ein bitterer Beigeschmack, weil er das Handeln vor allem in den Dienst der eigenen Bedeutsamkeit stellt. „Große Menschen haben sich nie an dem orientiert, was ist, insbesondere dann nicht, wenn die Realität ihnen nicht genügte“, schreibt er. Man wird das Gefühl nicht los, dass da einer vor allem sich selbst meint

Doch in der ZEIT wird er ob seines radikalen Antimodernismus sogar mit Hans Sedlmayr, einem österreichischen Kunsthistoriker und aktiven NSDAP-Mitglied vergleichen.

Ein derart radikaler Antimodernismus hat lange Tradition. So finden sich etwa in Hans Sedlmayrs Verlust der Mitte (1948) unter dem Schlagwort „Herabsetzung des Menschen“ genau dieselben Anklagen wie bei Ruch. Auch für Sedlmayr richtet sich die Moderne „nicht nur gegen das im engeren Sinn humanistische Bild vom Menschen, sondern gegen den Menschen überhaupt“. Damit aber habe das Hässliche Dominanz erlangt, in der Kunst seien nur noch Richtungen entstanden, „die ein unentstelltes Menschenbild gar nicht mehr geben können oder wollen“.

Und die konkret berichtet unter dem Titel „Heroismus der Idiotie

Schon das Vorwort ist ein Müllhaufen an Bullshit, verquirlt mit faschistoiden Parolen, dem Ruf nach »Visionen«, »großen Ideen«, »Glauben«, »Idealen«, einer »heiligen Pflicht«, Führern und Lichtgestalten.

All das hätte doch nun wenigstens etwas aufmerksam machen müssen. Und so stellt sich die Frage, weshalb unsere Leitmedien entweder nicht Willens oder nicht in der Lage dazu sind, wenigstens einmal kurz ihr google anzuschmeißen um nachzuschauen, mit wem sie es da überhaupt zu tun haben? Und vor welchem Geistigen Hintergrund da was für vermeintliche Kunst offeriert wird? Verhält es sich denn aktuell tatsächlich so, dass man hierzulande nur laut genug „gegen AfD“ kreischen muss, damit von den großen Redaktionen selbst Nazidenke, faschistoider Größenwahn und Verschwörungsfreaks hochgejubelt werden? Hier schreibt ein faschistoider Aktions-Schausteller seine totalitären Verschwörungstheorien sogar in ein Buch – ein BUCH MIT ISBN – und nicht einmal die fürstlich entlohnten Redaktionen der Öffentlich Rechtlichen Medien finden die Zeit, dazu wenigstens ein paar Kritiken zu überfliegen:
So kann, nein, mehr noch, so darf man nicht über Kunst schreiben!
Jedenfalls nicht dann, wenn man die Kunst ernst nimmt. Und schon gar nicht, wenn man es mit einer Kunstform zu tun hat, deren elementarer Bestandteil notorische Tabubrüche und Rechtsverstöße zu sein scheinen. Tut man es dennoch, so macht man sich lediglich mit einem linkspopulistischem Aktionismus gemein, an dessen Ende das Stalking von Kindern, „Nazimethoden“, als Mittel der politischen Auseinandersetzung gut geheißen werden. Und man macht sich zum Handlanger der Instrumentalisierung von Antisemitismus.

Aproposein kleiner Schwenk – die maßlose Bigotterie diverser Medien zeigt sich u.a. auch darin, dass die gleichen, die nun Ruchs Aktion schönschreiben, zuvor versuchten die Äußerungen Lagerfelds zum Thema grassierenden Antisemitismus in moslemischen Ländern zu skandalisieren. Aber ging es da nicht auch, auf eine andere Art, darum, Lehren aus dem Holocaust zu ziehen? Oder, was ist mit all den Hijab-Barbie-Jublern, die nicht in der Lage dazu waren herauszufinden, dass das menschliche Vorbild für die Hijab-Barbie, die US-Amerikanische Moslemin Ibtihaj Muhammad, in sozialen Medien zuvor durch zahlreiche antisemitische Nachrichten auffiel? Oder, die Lobeshymnen auf die antisemitische Womens-March Initiatorin Linda Sarsour? Und nun plötzlich Holocaust-Gedenken mittels gebastelter Pappmaché Kartons samt Familienstalking? Leute, ihr habt sie doch wohl nicht alle. Euch geht es nicht um Shoah und auch nicht um Antisemitismus: Ihr instrumentalisiert, teils um des persönlichen Erfolges Willen, teils um missliebiger politischer Konkurrenz eins auszuwischen.

Das ist so derart offensichtlich, wie ihr euch dabei dämlich anstellt. Denn, das dürfte nach dieser Aktion klar werden, sofern es tatsächlich zu einer Neuwahl des Bundestags kommen sollte, hat die Ruch-Truppe der AfD mit ihrer Aktion einen riesigen Gefallen getan. Und das nicht nur über die so generierte Aufmerksamkeit für die AfD, sondern vor allem, weil diese ganze Aktion derart infernalisch ist, dass es dafür jenseits der Reaktionsstuben und Linksblödi-Szene keinen Applaus geben wird. Im Gegenteil. Höcke und – damit die AfD – kann sich völlig berechtigt in der Opferrolle darstellen, und jeder auch nur halbwegs demokratisch veranlagte Familienmensch dürfte absolutes Verständnis dafür aufbringen.

Aber immerhin, auch für das Philipp Ruch dürfte sich die Aktion gelohnt haben:
Auf der von ihm angemeldeten Netzseite zum Projekt ist zu lesen, dass die Aktion bereits über 80.000,- Euro an Spendengledern generiert hat. Sicher auch aufgrund der tatkräftigen medialen Unterstützung.

Wir lernen also: Regeln brechen lohnt sich. Und damit wären wir dann auch bei der abschließenden Frage, die Phiipp Ruch zu seinem Projekt stellt:

Sind wir eine wehrhafte oder eine wehrlose Demokratie? Welche Mittel wenden wir an gegen ihre Feinde? Wie weit können wir gehen?

Ich will ihm eine Antwort nicht schuldig bleiben und beantworte sie, diesmal als Künstler und mit ausdrücklichem Verweis auf eine seiner Arbeiten aus dem Jahr 2015, mit

„Tötet Philipp Ruch!“

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