Donnerstag, 28. März 2024

17. Juni 1953: Der (vergessene) Freiheitstag der Deutschen

Einen Tag wie den 17. Juni 1953 haben wohl nur die Deutschen zustande bringen können und sie dürfen auf den größten Volksaufstand in ihrer Geschichte zurecht stolz sein. Ein Gastbeitrag von Adam Elnakhal

Was ist das größte Datum der deutschen Geschichte, wenn man ein solches jemals ausfindig machen könnte oder müsste? Ist es der 18. Januar 1871, der Tag der Reichsgründung? Ist es der 9. November 1918, die Ausrufung der Republik durch Genosse Philipp Scheidemann? Ist es der 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, welcher in Ost- und Mitteldeutschland nahtlos in den gewalttätigen Sozialismus überging? Ist es der 23. Mai 1949, die Verkündigung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, der humanistischsten Verfassung, die sich Deutschland je gegeben hat? Ist es der 9. November 1989 als die Freiheit über das Freiluftgefängnis und die Deutsche Teilung siegte? Ist es der 3. Oktober 1990 an dem die staatliche Wiedervereinigung vollzogen wurde?

Ohne Zweifel waren alle diese Daten wichtige und grundlegende Wegstationen auf dem Weg zu unserem heutigen demokratischen, wiedervereinigten Deutschland. Doch hatten meist nur wenige Politiker das Zepter in der Hand.

800px-Eisenach_17_Juni_1953_Befehl_Stadtkommandant_KurenzowDer 8. Mai war eine (notwendige) Befreiung von Außen. Das Grundgesetz wurde von (weisen) Männern und Frauen abgelegen auf der Insel Herrenchiemsee erarbeitet. Der Mauerfall 1989 war das Ergebnis der Montagsdemonstrationen, aber vor allem eben auch des glücklichen Versprechers von Schabowski. Die staatliche Vereinigung im Jahre 1990 ist freilich die größte Zäsur der jüngeren deutschen Geschichte. Das Ende der 45 Jahre dauernden Teilung ist eine Erfolgsgeschichte, die dem Koreanischen Volk bis heute verwehrt ist. Der 3. Oktober wurde gewählt, um den 41. Jahrestag der DDR am 7. Oktober (Tag der Republik) nicht mehr begehen zu müssen. Er bleibt trotz der schönen Zahl „drei“ und der passenden Jahreszeit im goldenen Oktober ein willkürliches Datum. Hätte Kohl den 1. Oktober für gut und richtig befunden, wäre es der 01.10. geworden oder vielleicht auch erst der 01.01.1991. Wer weiß das schon? Der Herbst passt zumindest zur melancholischen deutschen Volksseele besser als der Hochsommer. Aber der 3. Oktober ist und bleibt ein politisches Kunstdatum.

Dagegen ist der 17. Juni 1953 kein von Politikerschreibtischen vorbereiteter Verwaltungstag gewesen, sondern er war der von unten, von einfachen Arbeitern spontan verwirklichte Widerstandstag und die mutigste Freiheitsbekundung, die das Deutsche Volk je abgelegt hat.

„Reiht euch ein! Wir wollen freie Menschen“ hieß es damals an jenem Mittwoch im Juni ’53 in Berlin (Ost). Sie haben sich eingereiht. Die Arbeiter in Ostberlin zogen mit den schwarz-rot-goldenen Fahnen zum und auf das Brandenburger Tor, rissen die sowjetkommunistische rote Flagge herunter und hissten an ihrer Stelle die deutsche Flagge. Für ein paar Stunden war die SED besiegt, schien die Revolution und die Wiedervereinigung des Vaterlandes zum Greifen nah zu sein. Doch dann rollten erbarmungslos die Panzer…

Die Abschaffung des 17. Juni als Nationalfeiertag tritt den Mut von über einer Million DDR-Bürgern mit Füßen, die sich trauten der SED Paroli zu bieten.

Wie viel Angst mussten sie gehabt haben als die sowjetischen Panzer aufgerollt sind und die ersten Schüsse fielen? Wie viele Demonstranten mussten ihren Einsatz am 17. Juni mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, mit Zuchthaus, mit ihrer Gesundheit oder gar mit ihrem Leben bezahlen? 55 Tote sind über die gesamte DDR verteilt dokumentiert.

Es war ein großer Fehler der Kohl-Regierung: Mit Inkraftsetzen des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 wurde der Nationalfeiertag der Bundesrepublik Deutschland, der Tag der deutschen Einheit, vom Ereignistag 17. Juni auf den ebenjenen Verwaltungstag des 3. Oktober gelegt. Der Tag der Deutschen Einheit wurde nunmehr mit einem großen „D“ geschrieben.

DBPB_1953_110_17.JuniDabei geriet der Tag in Vergessenheit, welcher tatsächlich nicht von der politischen Klasse ausging und den Menschen mit dem Leben bezahlt haben. Der 17. Juni 1953 war in positiver Hinsicht wohl der größte Tag, den das Deutsche Volk je zustande gebracht hat. Und trotzdem wird keinem Ereignisdatum in unserer Geschichte der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts so viel Nichtbeachtung, Desinteresse und Nichtwissen zuteil wie dem 17. Juni. Ist man in den 1960ern in Westdeutschland vielerorts noch jährlich am 17.06. mit den schwarz-rot-goldenen Fahnen marschiert, muss man Gedenkveranstaltungen heute schon wie eine Nadel in der Weite der Sahara suchen.

Sicher: An den öffentlichen Gebäuden wird am 17. Juni auf Vollmast beflaggt (wenn es nicht vergessen wird).

Im Bundestag geben sich drei, vier Dutzend Abgeordnete die Ehre zu einer kleinen Gedenkstunde. In Berlin und anderen Städten, die am Volksauftand teilnahmen, werden Kränze niedergelegt und hier und dort gibt es eine Rede vom örtlichen CDU-Vorsitzenden. Der MDR bringt noch einen Pflicht-Spielfilm; eventuell gibt es noch eine kurze Doku (aber bitte nicht zur Hauptsendezeit).

Doch was nutzt es? 99,8 Prozent der Bevölkerung werden weder von der Gedenkstunde im Bundestag, noch vom MDR-Film um Mitternacht noch von der Gedenkrede des örtlichen Bundestagsabgeordneten tangiert.

Und an den meisten Schulen spielt der 17. Juni – auch dank der Schmalspurgeschichtslehrpläne der Bundesländer – auch keine große Rolle mehr. Wenn er überhaupt noch behandelt wird, nimmt er zumeist eine Randnotiz ein. Die Besprechung der Brecht-Zeilen „Die Lösung“ ist bereits Luxus im Geschichtsunterricht.

Die Deutschen haben ihren Freiheitstag vergessen. Die Deutschen haben das Datum vergessen, das den Franzosen mit ihrem 14. Juli (1789) bis heute heilig ist. Dadurch haben die Deutschen sich auch ein Stück selbst vergessen. Denn der deutsche 17. Juni stellt sogar den französischen 14. Juli in den Schatten. Die paar Revoluzzer an der Bastille können kaum mit dem Flächenbrand in der DDR mithalten, der sich von Berlin (Ost) aus in die hintersten Winkel der SBZ ausbreitete.

Das Vergessen des Volksaufstandes von 1953 reiht sich ein in die 68er, den folgenschweren und fortdauernden Linksruck der Bundesrepublik,

… die SED-freundliche Ostpolitik von Willy Brandt, die antideutsche Bewegung der Grünen, die Entchristlichung der CDU unter Kohl und erst recht unter Merkel und die völlige Aufgabe des Nationalstaatsgedankens im Eurosozialismus und im Sommer 2015.

Doch Deutschland wird sich nicht eher (wieder-)finden ehe es nicht den 17. Juni (wieder-)findet.

Denn der 17. Juni ist Vorbild für alle Zeit. Er war Vorbild für nachfolgenden Volkserhebungen und Volksaufstände in den anderen sozialistischen Satellitenstaaten der UdSSR, insbesondere für den 1956 in Ungarn.

Der deutsche Volksaufstand in den Tagen des Juni 1953 verkörpert das genaue Gegenteil des sozialistischen Gesinnungsstaates und steht somit auch in Fundamentalopposition zu den momentanen Linksblüten der Gegenwart.

Die Bundesrepublik Deutschland war dem Gedanken des 17. Juni schon einmal näher als heute; wenngleich es die Freiheit in Deutschland schon immer schwer hatte.

Traf es in den frühen Jahren der Bundesrepublik den Linksprogressismus, etwa Hildegard Knef und den Pro-Sterbehilfe-Film „Die Sünderin“, Homosexuelle sowie Atheisten,…

… so trifft es heute den Rechtskonservativismus, vor allem Islamkritiker, (Massen-)Einwanderungskritiker, Katholiken und Patrioten.

So wie Knef damals von konservativen Deutschen beleidigt und gemobbt wurde, Stinkbomben in die Kinosäle geworfen wurden, Homosexuelle psychisch bis in den Suizid getrieben wurden, ‚gefallene Mädchen‘ zur Zwangsarbeit in – zumeist kirchliche – Heime gebracht wurden…

… so werden heute die Autos von AfD-Politikern zerstört, ihre Hauswände beschmiert oder sie direkt verprügelt, Kircheneinrichtungen und Ehrenmäler geschändet, die Demo für Alle aggressiv niedergebrüllt und das Konto bei Facebook schnell mal für 30 Tage gesperrt.

Wer nicht im Mainstream mitschwimmt, hat den Gegenwind nicht ausschließlich in (legitimer) Meinungsäußerung zu befürchten, sondern in (illegitimer) psychischer und physischer, auch existenzbedrohender, Gewalt. Das ist das Gegenteil von Freiheit!
Wenngleich man bei aller Kritik an den desaströsen gegenwärtigen Zuständen das Deutschland der Gegenwart nicht mit dem SED-Staat gleichsetzen sollte. Denn dies wäre eine Verhöhnung der Opfer der SED-Diktatur und eine Verharmlosung des sowjetkommunistischen Satellitenstaates.

Der 17. Juni sollte und Pflicht und Vorbild sein im Kampf für die Freiheit der Menschen und die Einheit des Vaterlandes.

Es gibt ein Bild mit einer besprühten Hauswand. Auf dieser steht schlicht:
„Es lebe 17. Juni“

Ja, es lebe der 17. Juni (1953)!

 

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Fotos: (1) Bundesarchiv, B 285 Bild-14676 / Unknown / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons (2) Stadtarchiv Eisenach, Bild 40.5 402 / NN / CC-BY-SA [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons (3) By scanned by NobbiP (scanned by NobbiP) [Public domain], via Wikimedia Commons

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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