Donnerstag, 28. März 2024

Was wäre aus Europa geworden, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte?

Ein Essay von Herwig Schafberg

Marine Le Pen hat – obwohl sie dann doch Macron bei der Stichwahl unterlegen ist – ein beachtliches Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen erreichen können. Etwa ein Drittel der Franzosen haben für Le Pen gestimmt.

Für viele Franzosen sowie andere Europäer ist Marine Le Pen das, was man in Deutschland gern als „Nazi“ schmäht. Und dieser Schmähruf ist nicht bloß in den Kreisen von Antifaschisten beliebt, sondern auch bei Halbanalphabeten manch eines Milieus, in dem es völlig beliebig ist, ob man jemand als „Nazi“, „Jude“ oder „schwul“ beschimpft.

Egal, was der eine oder andere von Le Pens Politik halten mag, ist eine leichtsinnige Verwendung des Begriffs „Nazi“ nicht ratsam; denn sie trägt erheblich zur Verharmlosung einer Bewegung bei, die auf eine deutsche Weltmachtstellung ausgerichtet war und einen Weltkrieg anstieß, den sie im Osten Europas planmäßig zur Ausrottung von Juden, Slawen sowie anderen Ethnien führte.

Am 8. bzw. 9. Mai jährt sich der Tag, an dem 1945 die deutsche Wehrmacht kapitulierte und der 2. Weltkrieg in Europa beendet war. Ebenfalls am 9. Mai ist der Europatag, an dem insbesondere der sogenannten Schumann-Erklärung gedacht wird. Mit dieser Erklärung hatte an jenem Maientag im Jahre 1950 Robert Schumann, seinerzeit französischer Außenminister, vorgeschlagen, die französische sowie deutsche Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Aufsichtsbehörde zu unterstellen.

Damit tat er den ersten Schritt zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der sich neben Frankreich sowie der Bundesrepublik Deutschland auch die Beneluxstaaten und Italien anschlossen. Und aus der EGKS ging die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hervor, deren Gründung am 25. März 1957 kürzlich aus Anlaß des sechzigjährigen Jubiläums in Rom gefeiert wurde.

Eine „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ zu schaffen, hatten schon die Nationalsozialisten vorgehabt, „wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“. So heißt der Titel eines Buches von Ralph Giordano, in dem er die „Pläne der Nazis nach dem Endsieg“ – so der Untertitel – darstellte.

Er zitiert beispielsweise aus einer Denkschrift der „Gesellschaft für europäische Wirtschaftsplanung und Großraumwirtschaft“ vom 21. Oktober 1939 – wenige Wochen nach der Zerschlagung Polens zu Beginn des Krieges: „Eine kontinental-europäische Großraumwirtschaft unter deutscher Führung muß in ihrem Friedensziel sämtliche Völker des Festlandes von Gibraltar bis zum Ural und vom Nordkap bis zur Insel Zypern umfassen, mit ihren natürlichen kolonisatorischen Ausstrahlungen in den sibirischen Raum und über das Mittelmeer nach Afrika hinein.“

Aus Rücksicht auf nationale Empfindlichkeiten der anderen Europäer sollte man aber nicht von einer deutschen Großraumwirtschaft reden, sondern diese stillschweigend voraussetzen, „denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geographischen Lage.“

Nahziel war die Einbeziehung von Ländern, wie sie mit dem Protektorat Böhmen und Mähren, der von Deutschland abhängigen Slowakei und dem Generalgouvernement im besetzten Polen vorgemacht worden war, in einen Großwirtschaftsraum mit 200 Millionen Menschen.

In einer Sitzung des „Großen Beirats der Reichsgruppe Industrie“ am 3. Oktober 1940 – also nach der Besetzung Dänemarks, Norwegens, der Beneluxstaaten sowie Frankreichs und dem Beginn der Luftangriffe auf England – diskutierte man „Wünsche für den Friedensvertrag und Neugestaltung der europäischen Wirtschaftsbeziehungen“ und ging dabei ebenfalls davon aus, daß die europäischen Volkswirtschaften unter deutscher Führung zu einer Großraumwirtschaft zusammengefaßt würden.

Unter dem Dach des Reichswirtschaftsministeriums konzipierte die Reichsgruppe Industrie Pläne zur wirtschaftlichen Neuordnung Europas, nach denen die deutsche Reichsmark Leitwährung sein sollte, wie Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident Walther Funk im Juni 1940 in Aussicht stellte. Und stabile Wechselkurse würden für eine gewaltige Handels- sowie Kreditexpansion sorgen.

Andere Länder des Kontinents sollten „dem Deutschen Reich ein Maximum an Güterverbrauch zur Erhöhung der Volkswohlfahrt“ ermöglichen, kündigte der Reichswirtschaftsminister an und wurde sekundiert von Hans Kehrl, einem Hauptabteilungsleiter im Reichswirtschaftsministerium sowie Präsident der Reichswirtschaftskammer: „Im Großraum können deutsche Arbeiter in Zukunft nur für hochwertige und bestbezahlte Arbeit, die den höchsten Lebensstandard ermöglicht, angesetzt werden. Produkte, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, werden wir in immer zunehmendem Maße den Randvölkern zur Produktion überlassen.“

Deutschland sollte also mit seiner Technologie, Arbeits- und Kapitalintensität europäisches Produktionszentrum sein, dessen Interessen die anderen Länder des Großraums je nach dem ihnen zugeschriebenen Entwicklungsstand zu dienen hätten.

Während industriell relativ hoch entwickelte Länder West- und Nordeuropas sowie das Protektorat Böhmen und Mähren als Zielländer für die Investition von deutschem Kapital in Frage kamen, sollte das Gebiet des Generalgouvernement deindustrialisiert werden und ausschließlich als Lieferant von Arbeitskräften sowie Rohstoffe dienen. Doch in dem polnischen Landesteil, der dem Deutschen Reich angeschlossen worden war, sollte ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen städtischer Industrie und ländlicher Agrarwirtschaft hergestellt werden.

So hätte man in Kreisen der Finanzwirtschaft auch gerne die Verhältnisse auf dem Balkan. Hermann J. Abs, der später in der Bundesrepublik als Vorstandssprecher der Deutschen Bank und Berater von Bundeskanzler Adenauer noch eine große Rolle spielte, sprach in einem Vortrag vor dem Deutschen Institut für Bankwissenschaft und Bankwesen am 25. Oktober 1940 über die Auswahl der „richtigen Zielländer“ für eine „aktive Kapitalpolitik“. Zu denen gehörten die in Südosteuropa, die dem Reich schon als Rohstofflieferanten dienten: „Können wir aber, wie die Dinge heute liegen, hierbei stehen bleiben, oder müssen wir einen Schritt weitergehen und uns systematisch an der Industrialisierung der Rohstoffländer beteiligen? Für den Südosten hat der Mitteleuropäische Wirtschaftstag diese Frage rückhaltslos bejaht und den Vorschlag gemacht, den deutschen Unternehmern, die sich an der weiteren Industrialisierung der Südostländer mit Kapital beteiligen wollen, auch diejenigen Industrien freizugeben, die für den eigenen Bedarf der Südostländer arbeiten…“

Wenn es im Text bisher um wirtschaftliche Interessen gegangen ist, bedeutet das jedoch nicht, daß sich die Nationalsozialisten vor den Karren der Kapitalisten spannen ließen. Adolf Hitler war keine Marionette, wie mancher in diesen Kreisen vielleicht glaubte, sondern Strippenzieher wie Napoleon, der ähnliche Vorstellungen von Europa – unter seiner Hegemonie – gehabt hatte.

Hitler war – objektiv oder nicht – kein „Agent der Bourgeoisie“, wie es in der vulgärmarxistischen Terminologie heißen mag, sondern Führer der nationalsozialistischen Bewegung und wollte das deutsche Volk auf einen neuen Weg bringen, der, „aus der heutigen Beengtheit des Lebensraumes dieses Volkes hinausführt zu neuem Grund und Boden,“ wie er in „Mein Kampf“ geschrieben hatte: „Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten,“ wo das Volk sein „Zukunftsziel… in der emsigen Arbeit des deutschen Pfluges, dem das Schwert nur den Boden zu geben hat,“ sehen sollte, als ob Deutschland nicht eine Industriegesellschaft hätte und weit weniger als eine Agrargesellschaft auf „Lebensraum“ angewiesen wäre.

Bei der Gewinnung von „Lebensraum im Osten“ ging es nicht so sehr um kapitalistische Ausbeutung, sondern viel mehr um eine rassistische „Umvolkung“. Und diesem Ziel waren Interessen des Kapitals unterzuordnen. Daß Wirtschaftsunternehmen davon erheblich profitierten, ändert nichts daran, daß sie wie die IG Farben zu willigen Helfern bei der Umsetzung von Hitlers Entwicklungs- und – wie man hinzufügen muß – Vernichtungsplänen wurden.

Daran beteiligt waren auch Wissenschaftler wie Konrad Meyer, Direktor des Instituts für Agrarwesen der Berliner Universität und SS-Standartenführer, der die „Planungsgrundlagen für den Aufbau der Ostgebiete“ schuf. Die fanden anscheinend die Billigung von Adolf Hitler, wie Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Reichskommissar für die „Festigung des deutschen Volkstums“, am 24. Juni 1940 berichtete: „Der Führer sagte, daß es Punkt um Punkt richtig wäre.“

Dieser erste Generalplan Ost vom Frühjahr 1940 sah neben der Deportation sämtlicher Juden die Vertreibung von mehreren Millionen Polen aus dem polnischen Landesteil, der dem Deutschen Reich angeschlossen worden war, in das von Deutschen dominierte Generalgouvernement im östlichen Teil des besetzten Landes und an deren Stelle die Ansiedlung von ebenso vielen Deutschen im annektierten Landesteil vor.

Ein Jahr später begann der Rußlandfeldzug. Und als im Herbst 1941 deutsche Truppen vor Moskau standen, schien die „Neuordnung Europas“ im Osten eine weitreichende und zugleich tiefgreifende Dimension anzunehmen, neben der die ebenfalls geplante Eingliederung der deutschsprachigen Schweiz und Schwedens eine Randerscheinung wäre.

Obwohl die Wehrmacht noch weit davon entfernt war, zog Hitler in Erwartung des Sieges über die Sowjetunion auf seinem Globus eine Bleistiftlinie, an der die Ostgrenze der deutschen Herrschaft verlaufen sollte: Wenn Albert Speer, Rüstungsminister des Reiches, es richtig in Erinnerung hatte, reichte diese Linie von Archangelsk im Norden entlang des Ural sowie der Wolga zum Kaspischen Meer. Meyers oben genannter Generalplan Ost wurde demgemäß zur Gesamtplanung Ost erweitert und definiert, inwieweit Hitlers Vision vom Lebensraum im Osten Realität werden sollte.

In der Anfangsplanung war noch vorgesehen, die Polen auf dem Gebiet des Generalgouvernement zusammenzudrängen und sie als „führerloses Arbeitsvolk“ im Interesse der deutschen Eroberer auszubeuten, wie „Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“ aus der Feder Heinrich Himmlers belegen, die mit Stempel vom 28. November 1940 dokumentiert sind.

Wie diesen Gedanken des Reichskommissars für die „Festigung des deutschen Volkstums“ ferner zu entnehmen ist, sollten die Schulen für die nichtdeutsche Bevölkerung nur vier Klassen umfassen und sich darauf beschränken, den Schülern einfaches Rechnen (maximal bis 500) sowie das Schreiben des eigenen Namens beizubringen und sie zu lehren, daß sie dem angeblichen Willen Gottes entsprechend „den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein“ hätten.

Kinder von Polen, die als „eindeutschungsfähig“ eingeschätzt wurden, sollten fern der Heimat auf deutschen Internaten aufgezogen und insofern ihren Eltern entfremdet werden. Diese würden „dann wahrscheinlich keine Kinder mehr erzeugen, so daß die Gefahr, daß dieses Untermenschenvolk des Ostens durch solche Menschen guten Blutes eine für uns gefährliche, da ebenbürtige Führerschicht erhält, erlischt,“ hoffte Himmler in „Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“, von denen oben schon die Rede war.

Der kruden Logik dieser Ressentiments entsprechend war „Rassenvermischung“ streng verboten. Ein „fremdrassiger“ Mann, der sich mit einer deutschen Frau sexuell einließ, sollte aufgehängt, die Frau in ein Konzentrationslager verbracht werden. Dort sollten auch jeder deutsche Mann, der mit einer „fremdrassigen“ Frau Geschlechtsverkehr hatte, sowie die betreffende Frau landen.

Nur unbeugsame Härte in dieser Frage wird in den Jahren der Stärke und Größe der heutigen Zeit unserem Volk das Gesetz einprägen, daß es zwischen Menschen dieser Art und unserem Volk ebenso wenig eine Verbindung gibt wie zwischen uns und Negern,“ schrieb Heinrich Himmler in dem weiter oben angegebenen Bericht aus dem Frühsommer 1940 und äußerte „die Überzeugung, daß wir im Osten auf die Dauer ohne einheimische polnische Arbeiter auskommen können, und daß wir die Polen auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht in den Ostprovinzen belassen müssen und dürfen. Alle hier für den Osten ausgesprochenen Gedanken gelten in gleicher Weise für alle von fremder Bevölkerung bewohnten, neu zum Deutschen Reich hinzugekommenen Provinzen.“

Auf Dauer war also auch das Generalgouvernement zur „Umvolkung“ und ebenso wie neuerworbene Gebiete der Sowjetunion zur „Eindeutschung“ vorgesehen.

Fast alle größeren Städte Polens sowie des Baltikums und mehrere Städte in der Ukraine sollten Siedlungsstützpunkte werden, von denen aus die deutsche Ostkolonisation mit der Gründung von Wehrbauerndörfern systematisch weiter vorangetrieben werden sollte. Geplant waren außerdem „Siedlungsmarken“, zu denen beispielsweise das „Ingermanland“ um die Stadt Leningrad, die Hitler ebenso wie Moskau zerstören lassen wollte, und der „Gotengau“ auf der Halbinsel Krim gehören sollten.

Hitler mit Generälen bei Lagebesprechung
(c) Bundesarchiv, Bild 146-1971-070-61 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de
Darüber hinaus gab es riesige „Räume, in denen eine deutsche Oberschicht nach der militärischen Entwicklung bis weit nach Rußland hinein, bis weit an den Ural“ die Führung übernehmen würde, kündigte Reinhard Heydrich, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, am 2. Oktober 1941, wenige Monate nach dem Beginn des erfolgversprechenden Rußlandfeldzuges an: „Das sind Räume, die man eigentlich behandelt wie die Eindeichung eines neuen Landes an der Küste, indem man im Osten einen Wehrwall von Wehrbauern zieht, um dieses Land einmal abzuriegeln gegen die Sturmflut Asiens, und das man dann durch Querwälle unterteilt, um allmählich diesen Boden für uns zu gewinnen, indem man weiter am Rande des eigentlichen Deutschland, das von deutschem Blut besiedelt wird, immer langsam einen deutschen Wall vorlegt nach dem anderen.“

Ziel seiner Ostpolitik sei – auf lange Sicht gesehen –, etwa hundert Millionen germanischen Menschen in diesem Raum ein Siedlungsgebiet zu erschließen,“ soll Adolf Hitler in einem seiner monologartigen „Tischgespräche“ während des Siegeszuges der Wehrmacht auf sowjetischem Territorium gesagt haben. Und Heinrich Himmler schwärmte in einer Rede am 9. Juni 1942 sogar davon, daß eines fernen Tages im europäischen Teil der ehemaligen Sowjetunion 500 bis 600 Millionen Menschen „germanischen Blutes“ leben würden statt der 120 Millionen Slawen, die es seinerzeit dort gab.

Wenig später – am 20. August 1942 – veröffentlichte „Das Schwarze Korps“, eine Zeitschrift von Himmlers SS, einen Artikel, in dem es heißt: „Unsere Aufgabe ist es nicht, den Osten im alten Sinne zu germanisieren, das heißt dort vorhandenen Menschen deutsche Sprache und deutsche Gesetze beizubringen, sondern dafür zu sorgen, daß im Osten nur Menschen wirklich deutschen, germanischen Blutes wohnen.“

Um das zu erreichen, sollten Juden völlig ausgerottet und Polen, Weißrussen, Ukrainer, Russen sowie andere Ethnien im Laufe der nächsten 20 bis 30 Jahre jenseits des Ural angesiedelt werden, soweit sie diesseits nicht als Arbeitskräfte gebraucht würden.

Von der Eroberung Indiens durch arische über die Landnahme Anatoliens durch türkische Stämme bis zur Kolonisierung Amerikas durch Spanier sowie andere Europäer gibt es zahlreiche Beispiele in der Weltgeschichte, in denen die Ansiedlung der einen mit der Verdrängung oder gar Ausrottung anderer verbunden war. In Spanien waren es die „Secundonos“, die Zweitgeborenen, die während der Neuzeit ebenso als Kolonisten nach Übersee geschickt wurden, wie vor ihnen im Altertum überschüssige junge Männer aus dem übervölkerten Griechenland Kolonien an den Küsten rund ums Mittelmeer gegründet und im Mittelalter nachgeborene Deutsche weite Gebiete im Osten Europas kolonisiert hatten – etwa das Livland im Baltikum.

Auf das Beispiel berief sich Adolf Hitler, als er den Kampf um „Lebensraum im Osten“ propagierte. Das Besondere war nicht, daß die Feldzüge in Polen und in der Sowjetunion die Verdrängung sowie Ausrottung von Menschen zur Folge hatte, sondern daß dieses programmatisch – in „Mein Kampf“ – begründet war und systematisch betrieben wurde. Dafür gab es kaum förmlich beschlossenen Gesetze oder Erlasse, sondern häufig nur das eine oder andere Wortprotokoll. Das Wort des „Führers“ war jedoch Befehl und wurde befolgt – auch wenn es nur in einem der „Tischgespräche“ gefallen war.

Am besten wäre es, man lehrte sie nur eine Zeichensprache verstehen,“ höhnte Hitler in einem der „Tischgespräche“ über jene Einheimischen, deren Arbeitskraft dort noch ausgebeutet werden sollte. „Kenntnisse der Russen, Ukrainer, Kirgisen und so weiter im Lesen und Schreiben könnten uns nur schaden. Denn sie ermöglichen es helleren Köpfe, sich ein gewisses Geschichtswissen zu erarbeiten und damit zu politischen Gedankengängen zu kommen, die irgendwie immer ihre Spitze gegen uns haben müßten… Es sei besser, in jedem Dorf einen Radiolautsprecher aufzustellen, um den Menschen auf diese Weise Neuigkeiten zu erzählen und Unterhaltungsstoff zu bieten.“ Man sollte ihnen vor allem „durch den Rundfunk Musik und noch einmal Musik vermitteln. Denn lustige Musik fördere die Arbeitsfreude.“

Um die Geburtenrate der Slawen zu senken, war ihnen Abtreibung sowie homosexueller Verkehr erlaubt und damit Praktiken, die das Hitler-Regime seinen deutschen „Volksgenossen“ strenger als zuvor verboten hatte; denn diese sollten sich im Unterschied zu den slawischen „Untermenschen“ so zahlreich wie möglich vermehren, damit sie ihrer Aufgabe als „Führungsvolk“ einer Weltmacht gewachsen wären.

Der Führer gibt seiner unumstößlichen Gewißheit Ausdruck, daß das Reich einmal ganz Europa beherrschen wird. Von da ab ist praktisch der Weg zur Weltherrschaft gezeichnet. Wer Europa besitzt, der wird damit die Führung der Welt an sich reißen,“ ließ der Propagandaminister Joseph Goebbels scheinbar siegessicher am 8. Mai 1943 und somit zu einem Zeitpunkt wissen, als die Wehrmacht in der Sowjetunion wie auch in Nordafrika bereits auf dem Rückzug war und Amerikaner sowie Briten kurz vor der Landung in Italien standen.

Die Deutschen waren ihren alliierten Gegnern an kriegswichtigen Rohstoffen, Land-, See- sowie Luftstreitkräften mit großem Abstand unterlegen und hatten bei weitem nicht so viele Reserven zur Verfügung wie ihre Gegner.

Selbst als sowjetische Truppen die Deutschen im Osten Schlacht für Schlacht weiter zurückdrängten, die westlichen Alliierten der Sowjetunion südlich der Alpen vorrückten und die Eröffnung einer Front im Westen nur noch eine Frage der Zeit war, sorgte Adolf Hitler sich um etwas anderes als um die Kriegsentwicklung, wenn man seinem Sekretär Martin Bormann glauben darf. In einer Denkschrift vom 29. Januar 1944 zeichnete der auf, was der „Führer“ kurz zuvor gesagt haben soll: „Wir werden den Krieg militärisch auf jeden Fall gewinnen, ihn volklich aber verlieren, wenn wir nicht zu einer ganz entscheidenden Umstellung der bisherigen Auffassungen und daraus resultierenden Haltungen kommen. Nach diesem Kriege werden wir… drei bis vier Millionen Frauen haben, die keine Männer mehr haben… Der sich hieraus ergebende Geburtenausfall wäre für unser Volk gar nicht zu ertragen: wie viele Divisionen würden – betonte der Führer – uns in 20 bis 45 Jahren und weiter fehlen!“

Zu den Widersprüchen zwischen Hitlers Vision und der Realität gehörte, daß er die Deutschen für ein „Volk ohne Raum“ und aus dem Grund den Krieg zur Gewinnung von „Lebensraum im Osten“ für notwendig hielt, es jedoch zur Zeit seiner Kriegsplanungen gar keinen Bevölkerungsüberschuß für eine Ostkolonisation gab und durch die besorgniserregenden Kriegsverluste auch in Zukunft nicht das zu erwarten war, was man heute in den Sozialwissenschaften Youth bulge nennt.

Die Besorgnisse waren nicht neu. Heinrich Himmler hatte schon am 15. August 1942 seinen SS-Männern befohlen, „so rasch wie möglich für Zeugung und Geburt von Kindern guten Blutes zu sorgen“ und sich – einer geheimen Anweisung folgend – zu dem Zweck auch der Frauen im Feld stehender Kameraden liebevoll anzunehmen. Nach dem „Endsieg“ sollte sogar die Auflösung von kinderlosen Ehen zur Neupaarung mit zeugungs- bzw. empfängnisfähigen Partnern erleichtert und die Doppelehe eingeführt werden, um die millionenfachen Kriegsverluste zu kompensieren.

Wenn Adolf Hitler und sein getreuer Heinrich sich mehr für die Effizienz des Faktischen interessiert hätten als für postfaktische Effekte, dann hätten sie sich vielleicht mehr darum gesorgt, daß ihnen schon in diesem Krieg Nachwuchskräfte im Kampf für den „Endsieg“ fehlten.

Die Nationalsozialisten hatten zwar bald nach ihrer Machtergreifung 1933 allerlei zur finanziellen Förderung von „arischen“ Familien inklusive Wohnungsbau unternommen und kinderreiche Mütter „germanischen Blutes“ ausgezeichnet, um Reproduktionsanreize zu bieten; doch soweit diese die gewünschte Wirkung erzielten, konnten sie zur Nachwuchsrekrutierung in diesem Krieg natürlich nicht mehr beitragen.

Am Ende wurden ältere Männer und Knaben, die dem Kindesalter kaum entwachsen waren, für den „Volkssturm“ rekrutiert, mit dem die ins Reichsgebiet eindringenden Gegner aufgehalten werden sollten; denn anders als im 1. Weltkrieg konnte man nicht mehr für jeden getöteten Soldaten einen nachgewachsenen Bruder im jungen Mannesalter an die Front schicken. Das lag nicht bloß an der verhältnismäßig hohen Zahl an Verlusten in diesem Krieg, sondern auch daran, daß die Geburtenraten nach dem 1. Weltkrieg längst nicht mehr so hoch gewesen waren wie zuvor.

Hätte die deutsche Bevölkerung bis heute weiter so stark zugenommen wie im 19. Jahrhundert, dann wäre sie nach einer Schätzung von Gunnar Heinsohn mittlerweile auf 600 Millionen und insoweit zu einer Größenordnung angewachsen, die Himmler sich langfristig zur Kolonisierung des „Lebensraumes im Osten“ vorgestellt hatte.

In der Anfangsphase sollten es zehn Millionen Deutsche aus dem Reichsgebiet sein, die anstelle von vertriebenen Slawen im Osten angesiedelt werden sollten. Doch am Ende waren es zwölf Millionen Deutsche, die nach der Kriegsniederlage aus den historischen Ostgebieten Deutschlands und anderen Ländern Mittel- sowie Südosteuropas flüchteten oder vertrieben wurden. Sie kamen in Städte, die durch Kriegseinwirkungen teilweise genauso unwohnlich waren wie die „verbrannte Erde“, die deutsche Truppen beim Rückzug aus der Sowjetunion wie auch Polen hinterlassen hatten. Und sie waren ebenso wie die Einheimischen auf die Gnade der Sieger angewiesen, die Deutschland zur bedingungslosen Kapitulation zwangen.

Hatte das nationalsozialistische Regime Pläne zur Deindustrialisierung besetzter Gebiete gehabt, so gab es nun auf der Siegerseite Politiker wie den amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau, die eine schwerpunktmäßige Umwandlung der deutschen Industrie- in eine Agrargesellschaft erwogen. Er konnte sich aber nicht durchsetzen; denn die westlichen Alliierten wollten die von ihnen besetzten Zonen Deutschlands als wirtschaftlich hoch entwickelten „Frontstaat“ gegen die Sowjetunion haben, seitdem die vom Verbündeten zum Gegner im beginnenden „Kalten Krieg“ geworden war.

Anders als nach dem 1. Weltkrieg wollte man Deutschland also nicht ausgrenzen, sondern die aus den westlichen Besatzungszonen gebildete Bundesrepublik in ein Bündnissystem einbinden, ihr dadurch allerdings auch nicht mehr die alleinige Kontrolle der kriegsrelevanten Stahl- und Kohleproduktion lassen, wie es in der eingangs erwähnten Schumann-Erklärung heißt.

Bevor der französische Außenminister Schumann am 9. Mai 1950 seinen Plan erklärte, verdeutlichte er seine Grundüberzeugung: „Damit der Frieden eine echte Chance hat, muß es zuerst ein Europa geben. Fast auf den Tag genau fünf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands tut Frankreich den ersten entscheidenden Schritt für den Aufbau Europas und beteiligt Deutschland daran,“ wie es in einer Dokumentation der Konrad-Adenauer-Stiftung überliefert ist. Anschließend schlug er vor, die „Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde (Haute Autorité) zu stellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Staaten offen steht.“ In diesem Schlüsselsektor der Rüstungsindustrie sollten die beteiligten Staaten also nationale Souveränität an eine europäische Gemeinschaftseinrichtung abtreten. Durch die dadurch entstehende „Solidarität der Produktion“ würde „jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich…“

In Bundeskanzler Konrad Adenauer, dessen 50. Todestag erst vor kurzem gedacht wurde, hatte der französische Außenminister einen Partner, bei dem er mit seinem Vorschlag auf offene Ohren stieß. Beide gehörten zu den westeuropäischen Nachkriegspolitikern, die in der Vereinigung Europas eine Voraussetzung für die Wahrung des Friedens sahen.

Nie wieder Krieg“ sollte es geben. Das war eine Losung, die weit verbreitet war und später auch die Friedensbewegung beseelte, aus der die Grünen hervorgingen.

Doch es war mit Joschka Fischer ein Außenminister aus den Reihen der Grünen, der diese Losung durch eine andere ersetzte: „Nie wieder Auschwitz!“ Mit dieser Losung drängte er seine Parteifreunde zur Zustimmung für einen Kriegseinsatz der Bundeswehr im Kosovo, wo angeblich ein Genozid an den Albanern drohte (1999). Es dauerte es nicht mehr lange, bis deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt wurden und der sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter Struck uns einreden wollte, daß „unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt“ werden müßte (2001). Und wie neulich Peter Strucks Parteifreund Siegmar Gabriel, unser derzeitiger Außenminister, verlautbarte, wird auch im Irak sowie in Syrien – mit deutschen Waffen – „für unsere Freiheit“ gekämpft. Es wäre nicht überraschend, wenn Ursula von der Leyen, die Verteidigungsministerin, für den Bundeswehreinsatz in Mali eine ähnliche Begründung hätte. Nun beteiligen sich also Deutsche – direkt oder indirekt – an Kämpfen in Ländern, in denen für jeden getöteten Gegner zwei, drei oder mehr Brüder den Kampf fortsetzen können und mancher von ihnen den „Märtyrertod“ mangels Lebensperspektiven nicht scheut.

Young men desperate for Positions“ nennt der von Heinsohn in „Söhne und Weltmacht“ zitierte Goldstone solche jungen Männer und weiß sich anscheinend in Übereinstimmung mit Hobbes, nach dessen Thesen es nicht bloß Bedürftige sind, die rebellieren, sondern zudem Aufstrebende: „Dürftige, aber zugleich mutige und mit ihrem Schicksal unzufriedene Menschen… sind sehr geneigt, Krieg und Aufruhr zu erregen und zu nähren…“ (Thomas Hobbes: „Leviathan“, Kapitel 11).

Wer hungert, der bettelt um Brot oder stiehlt es. Wer sich nicht mit den Verhältnissen abfinden will, der schließt sich einer Gruppe von Gleichgesinnten zum Kampf für Veränderungen an und ist in der Gruppe eher bereit, über Leichen zu gehen, als wenn er auf sich allein gestellt ist; denn in ihr fühlt er sich stärker und dieses Überlegenheitsgefühl wird verstärkt, wenn der gemeinsame Kampf einem höheren Ziel zu dienen scheint.

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Hitler-Attentat am 20. Juli 1944. Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ bei Rastenburg, Ostpreußen: Inneres der zerstörten „Lager-Baracke“ (c) Bundesarchiv, Bild 146-1972-025-12 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de
Davon waren die jungen Heißsporne in den Kampfgruppen der italienischen Faschisten und der deutschen Nationalsozialisten beim Kampf für „Führer, Volk und Vaterland“ ebenso beseelt wie es militante Islamisten sind, die heute im halbmondförmigen Bogen von Afghanistan bis Mali, vereinzelt aber auch in Europa und Amerika für Allah sowie dessen Propheten zu kämpfen wähnen. Daß solche Einzelkämpfer als Attentäter in unseren Straßen allein handeln, ändert nichts daran, daß jeder von ihnen sich einer Gruppe zugehörig fühlt und in dem Moment, in dem er seinen Kampfauftrag erfüllt, Macht spürt, die er über seine Opfer hat. Und dieses Gefühl der Stärke im gemeinsamen Kampf für ein „höheres“ Ziel wird besonders deutlich demonstriert, wenn Kämpfer im Machtgebiet des Islamischen Staates die abgeschlagenen Köpfe ihrer Opfer vor Ort und darüber hinaus im Internet zur Schau stellen.

Bei den Bürgerkriegen, die mit ausländischer Intervention von Afghanistan bis Mali geführt werden, geht es aber nicht bloß um Macht-, sondern auch und vor allem um Verteilungskämpfe inklusive Verdrängung oder Ausrottung von Volksgruppen in den betroffenen Ländern mit ihren Bevölkerungsüberschüssen.

Es gibt Schätzungen, denen zufolge sich mindestens 120 Millionen Menschen aus den übervölkerten und nicht zuletzt deshalb konfliktträchtigen Regionen Asiens sowie Afrikas auf den Weg nach Europa machen werden und in einer Größenordnung einwandern würden, in der sich Hitler die germanische Ostkolonisation vorgestellt hatte. Insofern wären die Millionen, die es bisher schon geschafft haben, nur die Vorhut.

Während die politisch Verantwortlichen der Bundesrepublik unsere Freiheit in den fern gelegenen Kriegsgebieten verteidigen lassen wollen, haben sie das nahe Liegende – den Schutz unserer Grenzen – unterlassen und nicht verhindert, daß neben Kriegsflüchtlingen auch andere zu Millionen ins Land gekommen sind und Probleme sowie Konflikte aus ihren Herkunftsländern mitgebracht haben: Dazu gehörten sowohl gewöhnliche Streuner und Beutejäger als auch Kriminelle, die sich als Krieger für eine gerechte Sache ausgeben.

Das stärkt nicht bloß militante Moslemgruppen für ihren Krieg in unseren Städten, sondern gefährdet damit auch den Zusammenhalt der Europäischen Union, wie die Abkehr der Visegrad-Staaten von der gemeinsamen Flüchtlingspolitik, der britische Beschluß zum Verlassen der Union und die Popularität migrations-, europa- und deutschlandkritischer Parteien in vielen Ländern Europas zeigen.

Wenn die Europäische Union eine Zukunft haben soll, muß allseits befriedigend geklärt werden, wie der Massenzustrom an Kolonisten eingedämmt und wie verhindert wird, daß Europa sich weiter zu einem deutschen Großwirtschaftsraum entwickelt, als ob die Handels- und Währungspolitik eine Fortsetzung von Hitlers Krieg mit anderen Mitteln wäre.

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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