Donnerstag, 28. März 2024

Zum Todestag des homosexuellen Freiheitskämpfers Pim Fortuyn

Ein Gastbeitrag von Daniel Krause

Vor genau fünfzehn Jahren, am 6. Mai 2002, wurde der niederländische Freiheitskämpfer und homosexuelle Islamaufklärer Pim Fortuyn von einem Linksradikalen erschossen. Anlässlich des Todestages Fortuyns veröffentlichen wir hier ein Kapitel aus dem Buch „Allahs ungeliebte Kinder – Lesben und Schwule im Islam“ des Autoren Daniel Krause aus dem Jahr 2014.

Insbesondere zeigt sich rückblickend, was Deutschland von seinem westlichen Nachbarland in Sachen Islamkritik lernen kann.

Immigration kritisch betrachten und westlich-humanistische Werte verteidigen – wer Derartiges wagt, braucht starkes Rückgrat. Zahlreiche Politiker, Autoren und Wissenschaftler machten diese Erfahrung schmerzhaft. Dieses Kapitel erläutert meinen Bezug zu den Niederlanden. Die Bewohner sind uns in ihren Erfahrungen weit voraus, und wir können davon lernen. Die Universität Münster – dort habe ich studiert und promoviert – verfügt über ein bundesweit einmaliges Zentrum für Niederlande-Studien. Ich kenne dieses Land von vielen Studienreisen, aber auch durch private Bezüge. Ich liebe die Niederlande für ihre Kontraste, die sich aus großstädtischen Ballungsgebieten einerseits und provinziellen, traditionsbewussten Landstrichen andererseits ergeben.
Auch meine Kölner Rede handelte teils von den Niederlanden. Denn ich kenne den Kontrast, der dort innerhalb der Großstädte spürbar wird: florierendes jüdisches und homosexuelles Leben einerseits, aggressiver Antisemitismus und heftige Homophobie seitens muslimischer Einwanderer andererseits. Die Niederländer sind uns Deutschen hinsichtlich schmerzlicher, aber notwendiger Lernprozesse überlegen, und gerade das macht Holland so spannend. Im Zuge jener Lernprozesse entwickelte die wohl toleranteste Nation Europas eine wehrhafte Liberalität. Diese wünsche ich mir langfristig auch für Deutschland.

Aufgrund ihrer Kolonialgeschichte sind die Niederlande schon lange vor Deutschland das Ziel massenhafter muslimischer Immigration gewesen. Seit jeher legen die Niederländer viel Wert auf Toleranz gegenüber anderen Kulturen. Dies zeigte sich auch in der Haltung gegenüber Einwanderern aus Indonesien, dessen Kolonialmacht sie einst waren und welches das bevölkerungsreichste muslimische Land der Erde ist. Neben Indonesiern erwiesen sich insbesondere Marokkaner und Türken als besonders einwanderungsfreudig. Einwanderer erhielten kinderleicht die niederländische Staatsangehörigkeit und wurden zugleich ermutigt, ihre mitgebrachte Kultur in der neuen Heimat weiterzuleben. Es wurden bewusst kulturelle Gruppen zur Immigration aufgenommen, verbunden mit hohem Appeasement gegenüber deren Traditionen und religiösen Ansprüchen. Dass zum Beispiel der Bau von Moscheen immens gefördert wurde, lag an den guten Erfahrungen, die man in den Niederlanden mit Toleranz gegenüber anderen Religionen seit Jahrhunderten gemacht hatte. Mit einer solchen praktizierten Offenheit hatten sich im 19. Jahrhundert immer mehr Juden angesiedelt, sich als tüchtige Geschäftsleute erwiesen und durch Vorantreiben des Welthandels die niederländische Wirtschaft enorm bereichert.

Im Gegensatz zu den guten Erfahrungen, die man in früheren Zeiten mit jüdischen Einwandern und deren Nachkommen gemacht hatte, erwies sich die Koexistenz mit muslimischer Kultur jedoch als ungleich schwieriger. Zum einen verharrten die Einwanderer aus Indonesien in einem schwachen wirtschaftlichen Status; sie trugen weniger zur Belebung als vielmehr zur Belastung des niederländischen Wirtschafts- und Sozialwesens bei. Damit einher gingen auch erhebliche Probleme im Zusammenhang mit Kriminalität, insbesondere in den größten Städten des Landes. Neben dem sozioökonomischen Aspekt erlebten die Niederländer zudem die Notwendigkeit, sich mit einer explosiven Grundsatzfrage auseinanderzusetzen: Können wir die Tradition unserer immensen Toleranz auch gegenüber solchen Kulturen fortsetzen, deren Werte aus westlicher Sicht als intolerant einzustufen sind? Christentum und Judentum hatten sich in den Niederlanden längst zu einer christlich-jüdischen Kultur in Einklang begeben – aber wie ließ sich der Umgang mit dem Islam gestalten?

Zur Jahrtausendwende spürten die Niederländer – deutlich stärker als wir Deutschen –, wie drängend grundlegende Fragen von Immigration im Zusammenhang mit Islamismus und öffentlicher Ordnung waren. Doch wie auch heute in Deutschland war es zunächst die einfache Bevölkerung, welche wichtige Warnsignale erkannte. Die politische Elite in Den Haag übte sich hingegen im Ignorieren oder gar Schönreden. Im heutigen Berlin zeigt sich Ähnliches wie im damaligen Amsterdam: Sozialdemokratische Bezirksbürgermeister weisen auf Missstände hin und werden prompt gebrandmarkt – von Parteikollegen als „ausländerfeindlich“, von höchsten Stadtvertretern gar als „Nestbeschmutzer“ angepöbelt, weil sie mit ihren Äußerungen angeblich das Ansehen der Hauptstadt gefährdeten. Wie damals in Amsterdam erleben wir heute in Berlin mit Klaus Wowereit ein Stadtoberhaupt, dass sich lieber bei Veranstaltungen wie dem Ball der Kulturen feiern lässt, statt wichtige Probleme anzugehen.

Wie heute in Deutschland wurden damals in den Niederlanden irrtümlich Menschen als „rechtslastig“ missverstanden oder gar bewusst in diese Ecke gestellt. Solch öffentliche Diffamierungen erwiesen sich als geistige Brandstiftung, die zu Beginn des Jahrtausends zu politischen Morden führte – zunächst an dem Politiker Pim Fortuyn, etwas später an dem Filmemacher Theo van Gogh. Ich werde im Folgenden auf diese Geschehnisse eingehen, um eine Mahnung auszusenden, dahingehend, dass Deutschland sich vor destruktiven Potentialen fragwürdiger „politischer Korrektness“ hüten muss. Wer von der jüngsten Geschichte der Niederländer weiß, steht in der Verantwortung, daraus zu lernen und sich dafür einzusetzen, dass in Deutschland nicht die gleichen Fehler geschehen.

„Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage.“
(Pim Fortuyn)

Pim Fortuyn, geboren 1948, thematisierte zur Jahrtausendwende, wie sehr die Islamisierung das tolerante Miteinander in Europa gefährdet. Als Professor für Soziologie hatte er sich in zahlreichen Publikationen immer wieder politisch geäußert. Leidenschaftlich sah er seine Berufung darin, die Freiheiten einer „offenen Gesellschaft“ zu bewahren, die er durch „naiven Multikulturalismus“ bedroht sah. Mit Hinblick auf seine eigene Homosexualität sprach er sich insbesondere gegen den politischen Islam aus, nachdem ihm ein Rotterdamer Imam gesagt hatte, Schwule seien „weniger wert als Schweine“. Genau mit dieser Wortwahl begegneten mir Salafisten im Frühjahr 2012 an ihren Infoständen am Kölner Neumarkt. Ich konnte Pim Fortuyn nur noch zustimmen: Der politische Islamismus steht im unlösbaren Widerspruch zu einer modernen und toleranten Gesellschaft.

Das Lebenswerk Pim Fortuyns lässt sich am ehesten verstehen, wenn man sich die Entwicklung von Lesben- und Schwulenrechten in Europa vor Augen führt. So waren Dänemark und die Niederlande die ersten Länder weltweit, in denen gleichgeschlechtliche mit heterosexuellen Ehen rechtlich vollkommen gleichgestellt wurden. Diese beiden Länder wurden Vorbild für zahlreiche andere europäische Staaten, die diesem Beispiel folgten, unter anderem Belgien, Norwegen, Schweden, Spanien, Portugal und Island. Frankreich und Luxemburg planen ebenfalls die Ehe-Öffnung für gleichgeschlechtliche Paare, auch die britische Regierung zeigt entsprechende Bestrebungen. Belgien hat mit Elio di Rupo inzwischen einen offen schwulen Ministerpräsidenten, Island hat mit Johanna Sigurdardottir eine lesbische Premierministerin, die mit einer Frau verheiratet ist.

Lesben- und Schwulenverbände benennen häufig „Baustellen“, auf denen an weiterer Gleichberechtigung gearbeitet werden muss. In Deutschland melden sich diesbezüglich häufig Grünen-Politiker wie Claudia Roth oder Volker Beck zu Wort. Sie monieren zu Recht, dass die eingetragene Partnerschaft noch kein Ehegatten-Splitting und kein Adoptionsrecht beinhaltet. Auch homophobe Diskriminierung wird von Lesben- und Schwulenverbänden angeprangert, zum Beispiel im Kirchenrecht, denn Arbeitgeber in katholischer Trägerschaft machen gern von der Möglichkeit Gebrauch, Mitarbeiter aufgrund praktizierter Homosexualität zu entlassen.

Pim Fortuyn würde diesbezüglich von „Luxus-Baustellen“ sprechen – ein Adoptionsrecht für Schwule war nicht sein drängendstes Anliegen. Seinen Blick richtete er stattdessen auf das, was viele Lifestyle-Schwule zugunsten bunten Partytreibens verdrängen. Über den Tellerrand der holländischen Mittelschicht hinwegschauend prangerte er Missstände in muslimischen Subkulturen an. Zutreffend stellte er fest, dass die Situation von Homosexuellen in westlichen Kreisen vergleichsweise paradiesisch sei.
Pim Fortuyn hatte Recht, und seine Thesen haben heutzutage noch größere weltweite Gültigkeit als zu seinen Lebzeiten. In mehreren islamischen Ländern steht auf Homosexualität die Todesstrafe; in Saudi-Arabien, im Iran, im Sudan und in Mali wird diese auch konsequent angewandt. Der Iran führt die traurige Statistik an, berichten Organisationen von Menschenrechtlern. Präsident Mahmud Ahmadinedschad erklärte erst Ende 2012 im US-Fernsehsender CNN, dass Homosexualität abstoßend sei und in seinem Land auch weiterhin energisch verfolgt werde. Seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 wurden dort rund 4000 Homosexuelle hingerichtet. Die Todesstrafe kann bei Mädchen ab neun, bei Jungen ab fünfzehn Jahren verhängt werden.

Selbst in islamischen Ländern, in denen nicht die Todesstrafe auf Homosexualität steht, leiden Lesben und Schwule unter systematischer Verfolgung. Insgesamt werden Homosexuelle in 76 Ländern strafrechtlich verfolgt. Im mehrheitlich muslimischen Malaysia steht auf Sex unter Männern bis zu 20 Jahren Haft. Jugendlichen gilt das besondere Augenmerk malaysischer Sittenwächter, damit der Nachwuchs vor dieser „kriminellen Karriere“ verschont bleibt. Malaysische Lehrer werden geschult, homosexuelle Tendenzen ihrer Schüler möglichst früh zu erkennen, um „vorbeugen“ zu können – mittels „Charakterbildung“ in Arbeitslagern wie auch durch Zwangsbesuche in Moscheen. So sollen junge Malaysier vor „widernatürlichen“ sexuellen Handlungen abgeschreckt werden. Im November 2012 forderte die islamistische Partei PAS ein Verbot des geplanten Konzerts des homosexuellen Briten Elton John. Der Auftritt lesbischer und schwuler Künstler solle in ganz Malaysia verboten werden, verlangte der Parteichef. Ein halbes Jahr zuvor hatte Indonesien tatsächlich ein Konzert von Lady Gaga verboten – die Pop-Diva hatte in sich in ihrem Heimatland USA für die gleichgeschlechtliche Ehe eingesetzt.

Wer mag es Pim Fortuyn verdenken, wenn er angesichts besagter Umstände den Islam eine „zurückgebliebene Kultur“ nannte? Wer mag es ihm verdenken, dass er sich nach besagten Aussagen des Rotterdamer Imams, Schwule seien weniger wert als Schweine, auch im eigenen Land bedroht fühlte? Im August 2001 zitierte ihn das Rotterdams Dagblad: „Ich bin für einen Kalten Krieg mit dem Islam. Den Islam sehe ich als eine außerordentliche Bedrohung an, als eine feindliche Gesellschaft.“ Dass diese Aussagen Fortuyns vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt waren, stellte ein Gericht ausdrücklich fest, nachdem ihn linke und muslimische Gruppierungen wegen Diskriminierung angezeigt hatten.

Nur wenig machen deutsche Christopher Street Days auf solche weltweiten Zustände aufmerksam. Stattdessen wird glamourös inszeniert die sexuelle Dekadenz gefeiert: Buntgeschminkte Gestalten in extravaganten Kostümen schwingen ihre Lederpeitschen, tuntig johlend auf schlagerbeschallten Paradewagen. Werden in Begrüßungs- und Abschlussreden doch mal politische Themen aufgerissen, fordert man Gleichstellung beim Adoptionsrecht oder Ehegattensplitting und stichelt weiter gegen katholisches Kirchenrecht. Auch ich schließe mich diesen Forderungen an. Doch dass die rückständige und homophobe Islamkultur nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland in die Offensive geht, rückt erschreckend wenig ins Bewusstsein. Abgeschottet in ihrer glamourösen Subkultur zeigen sich viele Schwule in Deutschland unberührt von den weniger feierlichen Aspekten einer offenen Gesellschaft.
Aufgrund meiner Reisen in die Niederlande wusste ich, wovon Fortuyn sprach: In Amsterdams Schwulenkneipen warnten Wirte homosexuelle Touristen davor, in bestimmten Stadtteilen „erkennbar schwul“ unterwegs zu sein. Zu groß sei die Gefahr, von arabischstämmigen Jugendlichen zusammengeschlagen zu werden. Fast alle schwulen Männer konnten von Pöbeleien und körperlichen Attacken berichten – insbesondere dann, wenn sie in bestimmten Stadtteilen händchenhaltend unterwegs waren. In Rotterdam war es noch stärker vonnöten, sich nach Verlassen einer Schwulenkneipe zu vergewissern, nicht von auflauernden Schlägertrupps verfolgt zu werden. Rotterdam war damals wie heute eine Stadt mit ungewöhnlich hohem Anteil von Migranten; die meisten davon hatten und haben muslimische Verwurzelungen und sind unzureichend integriert. Untersuchungen ergaben, dass in Rotterdam 81 Prozent der türkischen und 80 Prozent der marokkanischen Jungen Homosexualität ablehnen. Bei den niederländischen Jungen hatten nur 30 Prozent diese Einstellung.

Seine Partei – Liste Pim Fortuyn (LPF) – gründete der aufstrebende Politiker im Februar 2002, drei Monate vor der niederländischen Parlamentswahl. Die Ausrichtung dieser Partei ließ sich als „wehrhaft-liberal“ oder „nationalliberal“ einstufen, wurde jedoch in vielen Medien als „rechtsradikal“ verurteilt. Die Medienhetze war von etablierten Parteien unterstützt worden, teils, um einen unliebsamen Konkurrenten zu diskreditieren, teils, um sich bei der muslimischen Wählerklientel anzubiedern. Nichtsdestotrotz hatte die LPF Umfragen zufolge reale Chancen, bei der Parlamentswahl im Mai 2002 stärkste Kraft zu werden. Hiermit verbunden war Pim Fortuyns Chance, sogar Ministerpräsident zu werden, denn ein Großteil der niederländischen Bevölkerung sah in ihm – zu Recht – denjenigen Politiker, der offen Probleme ansprach, die zuvor der politischen Korrektheit geopfert worden waren: Parallelgesellschaften, Kriminalität, Verwahrlosung des öffentliches Raumes. In Rotterdam, wo solche Probleme besonders drängten, erhielt Fortuyns Partei im März 2002 aus dem Stand heraus 34 Prozent der Stimmen. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass diese Partei schließlich erst einen Monat zuvor gegründet worden war. Auch in den Umfragen zur Parlamentswahl wurden der LPF ähnliche Ergebnisse vorhergesagt.

Dieser rasante Aufstieg machte Pim Fortuyn zur Angstfigur des linken Lagers. Radikale Gruppen zogen gar Parallelen zum Aufstieg der NSDAP und karikierten den Politiker mit Hakenkreuz-Uniform. Im April 2002 verübte eine linksradikale Studentengruppe ein Attentat auf Pim Fortuyn, als er gerade sein Buch Der Trümmerhaufen von acht Jahren violettem Kabinett vor laufenden Fernsehkameras vorstellte. Sein Auftritt war allein schon deshalb von medialem Interesse, weil jenes Buch auch das Wahlprogramm der Fortuyn-Partei beinhaltete. Unvermittelt schleuderte eine Studentin dem Politiker eine Sahnetorte ins Gesicht, welche offenbar mit Kot gefüllt war. Wenigstens war es eher ein Angriff auf Fortuyns Eitelkeit – und nicht auf sein Leben, wie bei dem späteren Attentat.
Bei genauer Analyse seiner politischen Programmatik wurde deutlich, dass Pim Fortuyn keineswegs in einer Ecke mit europäischen Rechtspopulisten stand. Zwar plante Pim Fortuyn für den Fall einer Regierungsübernahme einen sofortigen Aufnahmestopp für Einwanderer, doch zugleich versprach er Amnestie für jene Ausländer, die sich illegal in den Niederlanden aufhielten. Dieses passte in sein Konzept einer „Einwanderungspause, um die Zeit dafür zu bekommen, die schon vorhandenen Ausländer zu integrieren“. Mit solchen Amnestievorhaben sowie seiner integrativen Grundhaltung unterschied sich Pim Fortuyn vom österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider oder vom Franzosen Jean-Marie Le Pen.

„Ich verurteile Marokkaner nicht pauschal;
ich war sogar schon mit ganz vielen im Bett.“
(Pim Fortuyn)

Alleine schon Pim Fortuyns Homosexualität und sein Bekenntnis zur offenen Gesellschaft machten es zum Unding, ihn mit jenen Nationalisten in eine Schublade zu stecken. Europa hatte seit 1990 erhebliche Mühen gehabt, die Folgen des kommunistischen Zusammenbruchs zu verkraften. Menschen aus Staaten des ehemaligen Ostblocks waren zuhauf Richtung Westen gezogen, auch in die Niederlande. Die Krise im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verstärkte diesen Zustrom insbesondere in der Mitte der Neunziger Jahre. Pim Fortuyn hatte Recht, als er feststellte, „der alte Kontinent“ müsse seine humanitäre Grundhaltung keineswegs aufgeben. Doch niemandem, auch nicht den bereits vorhandenen Ausländern, sei damit gedient, wenn zusätzlicher Zustrom aus muslimischen Staaten die Niederlande überstrapaziert.
Die niederländische Parlamentswahl war für den 15. Mai 2002 angesetzt, doch diesen Tag durfte Pim Fortuyn nicht mehr erleben. Am 6. Mai hielt sich der polarisierende Politiker im Mediapark Hilversum auf, dem Sitz zahlreicher Rundfunkanstalten. Ein öffentlich-rechtlicher Radiosender hatte ihn gerade interviewt, als er gegen 18 Uhr das Studio in Richtung Parkplatz verließ. Auf dem Weg zu seinem Auto trafen ihn fünf Schüsse in Kopf, Brust und Hals. Herbeigerufene Notärzte versuchten noch vor Ort, das Leben des Politikers zu retten – diese Mühen blieben jedoch vergebens. Der Attentäter war ein polizeibekannter Linksextremist, welcher später vor Gericht den „Schutz von Muslimen“ als Motiv angab. Sein Mordopfer sah er als potentielle Gefahr für das multikulturelle Zusammenleben.

Pim Fortuyn starb im Alter von 54 Jahren – sein Todestag war der Tag meines 22. Geburtstags. Vielleicht liegt hierin der Grund, warum mir dieser Tag in besonderer Erinnerung blieb und ich mich mit Pim Fortuyn besonders verbunden fühle. Der Mord an Pim Fortuyn hatte mich nachhaltig mitgenommen. So wie andere Menschen der Unfalltod Lady Dianas.

Das niederländische Kabinett traf in Den Haag zu einer Sondersitzung zusammen, um über eine mögliche Verschiebung der Parlamentswahl zu beraten. Sämtliche Kabinettsmitglieder verurteilten das tödliche Attentat eilfertig aufs Schärfste – begleitet von wütenden Protesten. Vor dem Regierungssitz machten Hunderte von Demonstranten die etablierten Parteien für den Mord mitverantwortlich, sie drangen sogar ins Parlamentsgebäude ein. Gerne wäre ich bei diesen Protesten, die das Fernsehen live übertrug, leibhaftig dabei gewesen. Denn vollkommen berechtigt war der Vorwurf, dass insbesondere die Regierungsparteien geistige Brandstiftung zu Lasten Pim Fortuyns betrieben hatten.

Tausende von Menschen beteiligten sich in den Folgetagen an Trauerzügen durch die Hauptstadt Amsterdam, durch den Regierungssitz Den Haag sowie durch Fortuyns letzten Wohnort Rotterdam. Vor dem Amsterdamer Nationaldenkmal schloss auch ich mich einer solchen Trauerveranstaltung an. Freiheitskämpfer Pim Fortuyn war auf zahlreichen Transparenten zu lesen. Auch viele seiner Meinungsgegner waren anwesend, die in dem Mord einen Angriff auf einen übergeordneten Grundwert sahen: auf die Meinungsfreiheit. Selbst der damalige Ministerpräsident Wim Kok nahm am Trauerzug teil – Fortuyn und er hatten als Erzfeinde gegolten.

Übrigens staunte ich darüber, wie unbekümmert Wim Kok per Fahrrad bei der Veranstaltung ankam. Hieran zeigte sich, welch naives Vertrauen hochrangige Politiker in die öffentliche Sicherheit hatten. Man hielt den politischen Mord an Pim Fortuyn für einen tragischen Einzelfall. Politische Morde war das Land bis dato nicht gewohnt – es handelte sich um den ersten politischen Mord seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Parlamentswahl wurde nicht verschoben, sondern fand wie geplant am 15. Mai 2002 statt. Dass der Mord an Pim Fortuyn die Menschen mobilisierte, zeigte sich unter anderem in der Wahlbeteiligung, die deutlich höher war als bei den Wahlen zuvor. Die regierenden Sozialdemokraten Wim Koks wurden beispiellos abgestraft: Hatten sie zuvor 45 Sitze im Parlament, so waren es jetzt nur noch 23. Dem bisherigen Koalitionspartner, der linksliberalen Partei Demokraten 66, blieben von zuvor 14 Sitzen nur noch 8. Diese herben Verluste waren eine Quittung dafür, dass die Regierung drängende Fragen mit Mauern politischer Korrektheit ignoriert hatte. Die von Pim Fortuyn gegründete LPF wurde nach den Christdemokraten (CDA) zweitstärkste Kraft im Parlament. Gemeinsam mit den Rechtsliberalen (VVD) bildeten sie eine Regierungskoalition unter dem christdemokratischen Ministerpräsidenten Jan-Peter Balkenende.

Bereits zweieinhalb Jahre später wurde Amsterdam zum Schauplatz eines weiteren tödlichen Attentats, ebenfalls in Zusammenhang mit Islamismus. Das Opfer war Theo van Gogh, geboren 1957, ein landesweit geschätzter Regisseur. In den Neunziger Jahren erhielt er für zwei seiner Filme das Goldene Kalb, den wohl begehrtesten niederländischen Filmpreis. Theo van Gogh glänzte durch hohes ästhetisches Talent, was angesichts seiner familiären Herkunft nicht verwunderte: Der Bruder eines seiner Urgroßväter war niemand Geringeres als Vincent van Gogh, Begründer der modernen Malerei.

Auf inhaltlicher Ebene profilierte Theo van Gogh seine Filme im Sinne moderner humanistischer Aufklärung. Sein Eintreten für eine liberale offene Gesellschaft verknüpfte er mit Warnungen vor religiösen Einflüssen aller Art. In den Achtziger Jahren war noch das Christentum sein größtes Feindbild – in Tradition der 68er-Bewegung setzte er sich unter anderem für ein liberales Abtreibungsrecht ein. Im Gegensatz zu den meisten 68ern war er jedoch ausgewogener. Seine Abneigungen gegen Religionen projizierte er nicht einseitig auf das Christentum. Schließlich erkannte er zutreffend, von welcher Seite die weitaus größere Bedrohung für den modernen Humanismus ausgeht. So benannte er, ähnlich wie Pim Fortuyn, den Islam als eine „rückständige Kultur“. Ende der Neunziger Jahre trat er mehrmals mit dem Soziologieprofessor und späterem Politiker im Fernsehen auf.

Während Fortuyn besonders die Homophobie der Muslime verurteilte, legte van Gogh seinen Schwerpunkt auf die Unterdrückung von Mädchen und Frauen. Genau zu diesem Thema produzierte er im Jahr 2004 den Film Submission, gemeinsam mit einer prominenten Ex-Muslimin: Ayaan Hirsi Ali.

1969 in Somalia geboren wuchs Ayaan Hirsi Ali inmitten muslimischer Clanstrukturen auf. Muslimische Gepflogenheit bekam sie von klein auf am eigenen Leib zu spüren. In ihrem Buch Mein Leben, meine Freiheit beschreibt sie, wie sie als Kind in der Obhut ihrer Großmutter stand. Als Ayaan Hirsi Ali fünf Jahre alt ist, veranlasst die alte Frau, dass bei dem Mädchen und seiner Schwester die Beschneidung vollzogen wird. Ein fremder Mann kommt ins Haus, der ihnen mit Messer und Schere die äußeren Genitalien wegschneidet – ganz ohne Betäubung. Unbeschnitten würden die beiden Mädchen niemals Männer finden, so die Befürchtung der Großmutter.

Ihre Jugend verbrachte Ayaan Hirsi Ali mit Teilen ihrer Familie in Saudi-Arabien und in Kenia. In ihrem Buch berichtet sie von Selbstmordgedanken, die sie während dieser Zeit immer wieder befielen. Der Sterbenswunsch erreichte seinen Höhepunkt, als sie im Jahr 1992 zwangsverheiratet werden sollte – da war sie 22 Jahre alt.

Ayaan Hirsi Ali täuschte ihrer Familie vor, zu kooperieren und freiwillig nach Kanada zu reisen. Dort lebte der vorgesehene Bräutigam, ein Cousin, den sie kaum kannte. Die Reise ging von Kenia aus über Düsseldorf – in der Rheinmetropole hatte sie entfernte Verwandte. Bei jenen sollte sie bis zum Weiterflug nach Kanada bleiben. Doch statt zum Airport fuhr sie heimlich per Zug in die Niederlande, wo sie Asyl erhielt. Im Jahr 1997 bekam sie die holländische Staatsbürgerschaft. Fortan arbeitete sie als Dolmetscherin für die Asylbehörde, gelegentlich auch als Übersetzerin vor Gericht. Bei diesen Tätigkeiten wurde sie immer wieder mit dem Unrecht konfrontiert, welches dem weiblichen Geschlecht im Zeichen eines rückständigen Islams zugefügt wird.

„Freiheit heißt nicht nur, dass man tun kann, was man will.
Sondern auch, dass man nicht tun muss, was man nicht will“.
(Jean-Jacques Rousseau)

Ayaan Hirsi Ali kritisierte in Publikationen und Vorträgen, wie repressiv der Islam gegen Mädchen und Frauen agiert. Zugleich kritisierte sie die Beschneidung von Jungen und generell die abscheulichen Erziehungsmethoden vieler Muslime. Wegen ihrer Thesen erhielt sie zahlreiche Morddrohungen – diese waren besonders nach Pim Fortuyns Ermordung sehr ernst zu nehmen. Ayaan Hirsi Ali stand nun permanent unter Polizeischutz und wechselte ständig ihre Wohnorte, die der Öffentlichkeit nicht bekannt waren.

„Es sind einfache Wahrheiten, die Ayaan Hirsi Ali ausspricht, aber sie sind nicht selbstverständlich, weil sie nicht in das Gutmenschenschema von Opfern und Tätern passen.“
(Hendryk Broder)

An die niederländischen Politiker gerichtet forderte sie ein Ende der Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Islam und die Pflicht zur Integration. Entsprechend unzufrieden wurde sie zunehmend mit den Sozialdemokraten, denen sie bis ins Jahr 2002 angehört hatte. Nicht zuletzt aus Protest dagegen, dass diese Partei die Hetzjagd gegen Pim Fortuyn maßgeblich mitbetrieb, beendete sie ihre Mitgliedschaft. Allerdings sah sie in der Partei Pim Fortuyns (LPF) eine „One-Man-Show“ und fand ihre neue politische Heimat stattdessen bei der rechtsliberalen VVD – Volkspartei für Freiheit und Demokratie. Für diese saß sie in den Jahren von 2003 bis 2006 als Abgeordnete im niederländischen Parlament.

Zu Theo van Goghs Kurzfilm Submission, veröffentlicht im Jahre 2004, steuerte Ayaan Hirsi Ali das Drehbuch bei. Der Film handelt von Zwangsheirat sowie davon, dass eine Frau von einem Verwandten des Ehemannes vergewaltigt wird. Die Familie verdrängt dieses Verbrechen und beschließt sogar, die Frau wegen vermeintlichen Ehebruchs zu bestrafen. Bezug genommen wird im Film auf Koranverse, die in exponierter Position zu sehen sind – nämlich auf den nackten Körpern von Frauen. Diese erscheinen hierdurch als sexualisierte Objekte einer Männerwelt, welche ihren Anspruch auf Dominanz aus dem Koran ableiten.

„Sie können das im Koran nachlesen. Mohammed stahl Sayneb, die Frau seines Jüngers, und behauptete, das sei Allahs Wille. Er verliebte sich in Aisha, die neunjährige Tochter seines besten Freundes. Ihr Vater bat ihn zu warten, aber Mohammed wollte nicht warten. Was passiert also? Er erhält eine Botschaft von Allah, die sagt, dass Aisha sich für ihn bereithalten soll. Mohammed ist ein Tyrann.“
(Ayaan Hirsi Ali)

Mit diesem Film zogen Theo van Gogh und Ayaan Hirsi Ali den Zorn radikaler Muslime auf sich. Morddrohungen erhielten beide per Post oder öffentlich im Internet – beide solle das gleiche Schicksal wie Pim Fortuyn heimsuchen, forderten anonyme Hetzer. Ayaan Hirsi Ali behielt ihre Strategie bei, sich unter Polizeischutz an unbekannten wechselnden Wohnorten aufzuhalten. Theo van Gogh hingegen gab sich betont gelassen, er zeigte sich weiterhin in der Öffentlichkeit, insbesondere in Amsterdam. Die Drohungen wegen Submission nahm er sogar zum Anlass, seinem politischen Engagement einen neuen Schwerpunkt zu geben: Verteidigung der Kunst- und Meinungsfreiheit. Diese Freiheiten seien unabdingbare Basis der Demokratie und dürften nicht vor gewalttätigen Fanatikern weichen. Um dieses leibhaftig zu untermauern, mischte sich Theo van Gogh weiter öffentlich unters Volk, suchte direkte Gespräche mit möglichst vielen Menschen. Einladungen zu Diskussionen nahm er bereitwillig an, mal in dieser, mal in jener Stadt, um Kontakt mit Menschen aus allen politischen Lagern zu halten. Im Gegensatz zu Pim Fortuyn vermied Theo van Gogh jeglichen Spott gegenüber dem linken Lager, um dieses für die „gemeinsame Sache“ zu gewinnen.

Wer mag Theo van Gogh vorwerfen, die vom radikalen Islam ausgehende Gefahr überschätzt zu haben? Das Gegenteil erwies sich als richtig – die Bedrohung seiner eigenen Person hatte er geradezu verharmlost. Theo van Goghs fortwährendes unbeschwertes Agieren in der Öffentlichkeit war tödlicher Leichtsinn. Sein Weg zum Filmstudio am 2. November 2004 sollte für ihn der letzte sein.

Für den 26-jährigen Islamisten Mohammed Bouyerie war es ein Leichtes, Theo van Gogh auf offener Straße aufzulauern. Der junge Marokkaner sah durch Submission seine Religion beleidigt und fühlte sich im Dienste des Propheten Mohammeds, als er den Regisseur per Fahrrad abpasste. Wie immer war auch Theo van Gogh mit dem Drahtesel unterwegs, als Mohammed Bouyerie unvermittelt begann, auf ihn zu schießen. Der Filmemacher versuchte noch zu fliehen, was ihm jedoch nur wenige Meter weit gelang – der Attentäter beschoss ihn weiter, bis das Opfer zu Boden sackte.

An seiner Perfidität ließ der Mörder vor Ort nicht zweifeln. Nicht nur, dass er seinem Opfer die Kehle durchschnitt, als dieses schon am Boden lag, er legte zudem ein Bekennerschreiben auf Theo van Goghs Oberkörper und befestigte es mit Messern, die er durch das Papier tief in den Körper hineinstach. Das Schreiben enthielt neben der Erklärung, im Dienste Allahs gehandelt zu haben, noch eine weitere Morddrohung – gerichtet an Ayaan Hirsi Ali.

Bis zu seinem Tod hatte Theo van Gogh daran gearbeitet, das Lebenswerks Pim Fortuyns zu verfilmen. Zudem nahm seine Dokumentation Cool immer mehr Gestalt an – hierin ging es um marokkanische Jugendliche. Mit diesem Film fokussierte Theo van Gogh die gleichen Probleme wie einst Pim Fortuyn: Parallelgesellschaften, Kriminalität, Verwahrlosung des öffentlichen Raumes.

Mohammed Bouyerie wurde im Mai 2005 zu lebenslanger Haft verurteilt – wegen des Mordes an Theo van Gogh sowie der Todesdrohung gegenüber Ayaan Hirsi Ali. Der Angeklagte habe eindeutig in terroristischer Absicht gehandelt, stellte das Gericht in Amsterdam fest. Mohammed Bouyerie kündigte an, bei einer Freilassung „genau dasselbe wieder zu tun“, weil es der „Auftrag Allahs“ sei, jede Beleidung des Propheten mit dem Tod zu bestrafen. Auch bei späteren Anlässen, zu denen er sich aus dem Gefängnis zu Wort meldete, bekräftigte er diese Haltung.

Haben die Niederlande aus den Morden an Pim Fortuyn und Theo van Gogh hinreichend gelernt? War nun Schluss mit naivem Multikulturalismus und blinder Appeasement-Politik? Wurden Menschen, die vor der Islamisierung der Niederlande und Europas warnten, fortan ernstgenommen statt gebrandmarkt? Die Antwort lautet: mitnichten.
Positiv ist festzustellen, dass im März 2006 ein strenges Einwanderungsgesetz in Kraft trat. Wer in das Land einwandern will, muss seitdem eine dreiteilige Prüfung erfolgreich bestehen. Zwei Bereiche drehen sich um die Fähigkeiten auf der sprachlichen Ebene; schließlich ist Sprache ein entscheidender Faktor des Zusammenlebens. Wer die niederländische Sprache beherrscht, hat bessere Chancen auf Ausbildung, Arbeit und sozialen Anschluss – kurzum: bessere Chancen auf Integration. Je besser die Integration in die niederländische Kultur, desto geringer die Anfälligkeit für religiösen Extremismus, so die Erfahrungen. Im dritten Teil der Prüfung wird Grundwissen über die niederländische Gesellschaft verlangt. Wer diese Prüfung bestehen will, kommt nicht um folgendes Wissen herum: Homosexuelle Paare dürfen sich auf holländischen Straßen ausgiebig küssen, an einigen Stränden dürfen Frauen wie Männern völlig unbekleidet liegen und herumgehen.

Die Prüfungen können auch im Ausland abgelegt werden – in den niederländischen Botschaften und Konsulaten. Dort sind eigens Räume dafür eingerichtet, ausgestattet mit Computern, die an Telefone angeschlossen sind. Gegen Bezahlung ist in allen niederländischen Botschaften und Konsulaten ein Übungspaket erhältlich, das mit DVD- und Buchmaterial auf Inhalte der Prüfung vorbereitet. Die Prüfung an sich kostet 350 Euro – für die Kosten müssen die Prüflinge selbst aufkommen. Seit Einführung dieser Pflichttests ging die Zahl derjenigen, die aus muslimischen Ländern in die Niederlande einwandern wollen, deutlich zurück.

Mittlerweile gehört zum Inhalt der Prüfung auch, dass in den Niederlanden ein Burka-Verbot besteht. Seit 2012 dürfen Frauen nicht mehr vollverschleiert auf offenen Plätzen unterwegs sein, auch nicht in Schulen oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Bei Verstößen gegen diese Vorschrift drohen Geldbußen in Höhe von bis zu 390 Euro. Mit der Einführung des Burka-Verbots folgten die Niederlande den Beispielen Belgiens und Frankreichs – auch dort ist Vollverschleierung in der Öffentlichkeit längst verboten.

Trotz dieser Fortschritte im politischen Umgang mit Muslimen gab es zwischenzeitig auch immer wieder bedenkliche politische Vorgänge. So distanzierte sich die niederländische Regierung im Jahr 2008 panikartig von dem Kurzfilm Fitna. Diese Distanzierung geschah offensichtlich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Kritik aus islamistischen Ländern. Fitna zeigt Bilder islamistischer Gewalttaten, zum Beispiel von den Anschlägen in New York am 11. September 2001. Jene Gewalttaten zeigt der Film in Verbindung mit Zitaten aus dem Koran. Die Darstellungen waren nicht nur vollkommen sachgerecht, sondern auch durch die Meinungsfreiheit gedeckt – juristisch festgestellt vom Gericht in Den Haag, vor welchem der Filmemacher Geert Wilders wegen Volksverhetzung angeklagt war. Die Meinungsfreiheit gehöre zu den Fundamenten der Demokratie, betonte das Gericht. Wilders habe mit seinen Äußerungen provoziert, aber nicht zu Hass und Gewalt gegen Muslime aufgerufen. Dieses hatten Vertreter der damaligen Regierung dem Filmemacher zu Unrecht vorgeworden.

Nach wie vor ist Fitna im Internet anzuschauen. Für jedermann erkennbar weist der Film auf die reale Unterdrückung von Frauen und Homosexuellen hin, wie sie in islamistischen Subkulturen alltäglich ist. Schwule müssten getötet und „von hohen Häusern“ geworfen werden, ruft ein islamistischer Aktivist, zu sehen in Originalaufnahmen. Ebenfalls sind Islamisten bei ihrer Hetze gegen Juden zu sehen, was vollkommen der Realität im arabischen Raum entspricht, teilweise auch der Realität in den Niederlanden. So stellt sich bezüglich dieses Films die gleiche – rhetorische – Frage wie bezüglich meiner Äußerungen, die zu meiner Suspendierung führten: Ist es nationalistisch oder rassistisch, vor der Frauenfeindlichkeit, der Homophobie und dem Antisemitismus des radikalen Islams zu warnen?

Der Filmemacher Geert Wilders bezeichnete den Prozess gegen ihn als einen „politischen Prozess“ – und diese Einschätzung ist nicht von der Hand zu weisen. Denn Wilders hatte im Jahr 2004 die Partei für die Freiheit (PVV) gegründet und ist seitdem deren Chef. Diese Partei übernahm Pim Fortuyns Agenda und pflegt zudem besondere Solidarität mit Israel. Geboren im Jahr 1963 hatte Wilders als Teenager die islamische Welt bereist. Dort entsetzte ihn die religiöse Unterdrückung von Menschen – ganz anders als in Israel, wo er längere Zeit arbeitete. Für diesen Staat entwickelte er einen ausgeprägten „Schutzinstinkt“, ebenso für das gesamte Judentum.

Wilders Partei zog bei den Wahlen 2006 mit 6% der Stimmen ins Parlament ein. Somit erfolgte der Aufstieg etwas zögerlicher als bei Pim Fortuyn. Die Wahlen 2010 bescherten Wilders hingegen größeren Erfolg: Mit 15,5% wurde sie drittstärkste Kraft hinter Rechtsliberalen und Sozialdemokraten. Von nun an duldete die PVV zwei Jahre lang die Regierung des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Bei den Neuwahlen im September 2012 erlitt die PVV wiederum eine herbe Schlappe, sie stürzte auf zehn Prozent ab. Hatte sie sich durch eigene Erfolge aus Wählersicht überflüssig gemacht? Tatsächlich hatten die übrigen Parteien aus Wilders’ Erfolg ähnlich gelernt wie zehn Jahre zuvor durch Fortuyn. Rechtsliberale und die Christdemokraten praktizierten unter Wilders’ Duldung eine zunehmend strengere Einwanderungspolitik. Außer in den bereits genannten Punkten bestand diese in beschleunigten Asylverfahren, verschärfter Nachzugsregelung und zahlreichen kommunalen Maßnahmen. Auch das erwähnte Burka-Verbot ist auf das Wirken von Wilders zurückzuführen.

Wie einst Fortuyn kämpft Wilders für die Rechte von Frauen und für die Rechte von Homosexuellen. Diesbezüglich positioniert er sich „links“ von Rechtsliberalen und Christdemokraten, deren Regierung er von 2010 bis 2012 duldete. Im November 2011 stimmte er mit seiner PVV gegen diese beiden Parteien, als es um eine Abstimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe ging. Ein Gesetzesentwurf der Linksgrünen verbot Standesbeamten, homosexuellen Paaren die Eheschließung aus religiösen Gewissengründen zu verweigern. Die Kirchen beharrten auf diesem Verweigerungsrecht – christliche Standesbeamte hatten hiervon Gebrauch gemacht. Als Lesben- und Schwulenrechtler fiel Wilders den beiden Regierungsparteien in den Rücken und stimmte mit der linken Opposition.

Ich möchte ein wundervolles Erlebnis aus Rotterdam kundtun. Dorthin reiste ich am 6. Mai 2012, dem zehnten Todestag Pim Fortuyns. Mit einer Gruppe schwuler Holländer besuchten wir das Denkmal des ermordeten Volkshelden. Hunderte trauerten mit uns, darunter überraschend viele Arabischstämmige. Mit einigen begann ich Gespräche, und ihre Worte berührten mich sehr. Sie waren dankbar, den Fängen einer radikalen Religion entronnen zu sein. Es sei Fortuyns Verdienst, dass Rotterdam seit 2002 in muslimischen Subkulturen interveniere. In jenem Jahr hatte Fortuyns Partei die Kommunalwahlen gewonnen und fortan den Bürgermeister gestellt. In Stadtteilzentren wurden muslimische Frauen über Zufluchtsorte aufgeklärt – darunter mehrere neu eingerichtete Frauenhäuser. Diese Einrichtungen verhinderten Verschleppungen ins Ausland, wo Zwangsehen oder „Ehrenmorde“ drohten. Weitere Zufluchtsorte schützten Mädchen und Jungen vor illegalen Beschneidungen.

Den Höhepunkt des Tages bescherte uns der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb. Er trat um kurz nach 18 Uhr auf – genau zu dieser Uhrzeit war zehn Jahre zuvor Fortuyn ermordet worden. Der Inhalt seiner Rede ließ mich staunen: Er lobte den Ermordeten als „einen der größten Niederländer aller Zeiten“. Fortuyn stehe in der Tradition verdienter nationaler Freiheitskämpfer. Aboutalebs Lobesrede war bemerkenswert, offenbarte sie doch einen immensen Sinneswandel. Der Sozialdemokrat hatte Fortuyn zu dessen Lebzeiten als „abscheulichen Moslemhasser“ beschimpft. Zudem hatte er den rasanten Aufstieg der LPF mit dem der NSDAP verglichen, was ihm Fortuyn-Verehrer lange nachgetragen hatten; einige hatten im Januar 2009 Aboutalebs Amtseinführung im Rotterdamer Rathaus gestört.

Besonders lobte er, wie sich Fortuyns Ansätze in Rotterdam bewährt hätten, insbesondere hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit. Nach dem kommunalen Wahlsieg im März 2002 hatte Fortuyns Partei ihre Wahlversprechen beibehalten: Fortan galt „null Toleranz“ gegenüber marokkanischen Jugendbanden, die Polizeipräsenz wurde massiv verstärkt. Behörden begannen mit beispielloser Zusammenarbeit. Menschenschutz ging vor Datenschutz. Migranten wurde von nun an vehement Integration abverlangt – wer diese verweigerte, bekam Sanktionen zu spüren.

Dem Rotterdamer Ansatz widmet sich auch Neukölln ist überall, das Buch von Heinz Buschkowsky. Sein längstes Kapitel heißt: „Und wie machen es andere?“ Dieses vergleicht, wie ausgewählte europäische Großstädte mit Migrationsproblemen umgehen. Rotterdam wird diesbezüglich besonders ausgiebig und als besonders erfolgreich dargestellt. Doch der SPD-Politiker Buschkowsky verschweigt, auf wen diese Erfolge maßgeblich zurückgehen. Pim Fortuyns Partei war es, die in den Jahren von 2002 bis 2006 den Bürgermeister stellte und die Stadt wieder sicher machte. Buschkowsky erwähnt Fortuyn nur an einer einzigen Stelle – hierbei nennt er ihn unreflektiert „Rechtspopulist“.

Nichtsdestotrotz: Buschkowskys Darstellung des Rotterdamer Ansatzes ist insgesamt sehr aufschlussreich. Als erfahrener Kommunalpolitiker erfasst er das Wesentliche, setzt es in Beziehung zueinander und erklärt es verständlich. Ich fasse zusammen, was Buschkowsky auf vielen Seiten entfaltet :

Die Rotterdamer Polizei erhielt weitreichende Befugnisse, insbesondere um gegen Kriminalität bei Migranten vorzugehen. Straßen werden mitunter ohne Anlass gesperrt, um Personen zu kontrollieren. Auch der Verwahrlosung, welche in immigrierten Familien oft anzutreffen ist, wurde der Kampf angesagt. So wird ohne Anlass an Wohnungen geklingelt, um mögliche Missstände ausfindig zu machen. Wird der Zutritt verweigert, so begründet diese Weigerung bereits einen richterlichen Beschluss zur Durchsuchung.

Die Staatsanwaltschaft wurde in Rotterdam dezentralisiert. Sie residiert inmitten sozialer Brennpunkte, wo Wohnungen oder Geschäftsräume eigens hierfür angemietet worden sind. Potentielle Kriminelle sollen sich beobachtet fühlen und somit eingeschüchtert werden.

Die Zusammenarbeit von Rotterdamer Behörden bezeichnet Buschkowsky als beispiellos vorbildlich. Unter anderem tauschen sich Polizei, Jugendämter, Schulen, Kindertagesstätten, Gesundheitsbehörden und Arbeitsämter regelmäßig aus. So werden Informationen zusammengetragen und gebündelt, um auf mögliche Risikopersonen oder Risikofamilien aufmerksam zu werden.

Die Frage nach der öffentlichen Sicherheit in Großstädten möchte ich hier nicht eingehender behandeln. Sie hängt zwar durchaus mit der Intention meines Buches zusammen, aber eher indirekt und als Nebenaspekt. Hierin kann ich dem langjährigen Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ohnehin nicht das Wasser reichen.
Mein Blick in die Niederlande dient eher folgenden Erkenntnissen, die hier als Resümee festzuhalten sind:

Die Niederlande hatten einen Politiker wie Pim Fortuyn dringend gebraucht. Augenscheinlich passte er zwar nicht in das traditionell weltoffene Holland, doch er verkörperte eine „produktive“ Abweichung, welche das Land wieder auf Kurs brachte. Denn ungesteuerte, übermäßige Einwanderung war in den Neunziger Jahren ein Zeichen dafür, dass Holland vom richtigen Kurs abgekommen war. Geert Wilders erwies sich entsprechend als „Kurswächter“.

Die fälschliche Stigmatisierung jeglicher Islamkritik als „rechtsradikal“ begünstigt nicht nur eine gefährliche Untätigkeit gegenüber dem politischen Islam. Sie kann sogar geistige Brandstiftung gegenüber jenen bedeuten, die humanistische westliche Werte verteidigen. Geschieht es erst infolge tödlicher Attentate auf solche Stigmatisierungsopfer, dass sich die politischen Umgangsformen mit Islamkritikern zivilisieren? Ob auch Thilo Sarrazin und Heinz Buschkowsky erst Attentaten zum Opfer fallen müssen, damit Deutschland „erwachsen“ und wehrhaft wird? Besser wäre es, man würde hierzulande aus der niederländischen Geschichte lernen.

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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