Donnerstag, 28. März 2024

„Die Geschichte von der schwersten Entscheidung meines Lebens“ – Krzysztof Charamsa im Interview

(David Berger) Fast auf den Tag genau vor einem Jahr rückte ein Mann ins Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit, den zuvor nur Insider des Vatikan wahrgenommen hatten: Monsignore Krzysztof Olaf Charamsa, der zu diesem Zeitpunkt noch den ehrenvollen Titel eines „Kaplans seiner Heiligkeit“ trug und nicht nur an verschiedenen römischen Universitäten als Professor tätig war, sondern zudem als Assistenzsekretär der „Internationalen Theologischen Kommission“ der „Kongregation für die Glaubenslehre“, die früher die Namen „Heiliges Offizium“ und davor „Inquisition“ trug, im Vatikan fungierte.

Am 2. Oktober 2015 trat Charamsa nun vor die Kameras und outete sich als homosexuell. Er wolle in Zukunft nicht mehr im Vatikan arbeiten, sondern mit seinem Lebensgefährten, dem Katalanen Eduard Planas, in Barcelona leben.

Der Termin seines Outings  war kein Zufall: Wenige Tage später trafen Kirchenfürsten und Theologen aus aller Welt zur Familiensynode im Vatikan zusammen, um unter anderem über die kirchliche Lehre zur Homosexualität zu beraten.

schubladenfrei-teaserDie stand damals ganz klar fest: Homosexuellen ist mit Takt und Respekt zu begegnen, sie haben aber ein Leben in Enthaltsamkeit zu führen und das Ausleben der Homosexualität ist als schwere Sünde abzulehnen. Daran hat sich auch nach der Synode und trotz öfter wiederkehrender Sympathikundgebungen von Papst Franziskus in Richtung homosexueller Menschen nichts verändert.

Direkt am Jahrestag seines selbst gewählten Outings und kurz nach dem Erscheinen seiner Autobiographie „La prima pietra“ habe ich mit Krzysztof Charamsa, mit dem ich schon seit etwa 2003 bzw. meiner eigenen Tätigkeit für den Vatikan (auch ich war kurz für die Glaubenskongregation tätig) und die Zeitschrift „Theologisches“ und „Doctor Angelicus“ (wo Charamsa als Autor in Erscheinung trat) in Verbindung stehe, gesprochen.

Krzysztof Charamsa, wie spreche ich Sie am besten an? Herr? Monsignore?

Ich habe kein Problem mit dem „Du“. Wenn Sie einen „offizielleren“ Titel wollen, so können Sie mich wie einen Priester – in Deutschland sagt man, glaube ich „Herr Pfarrer“ – ansprechen.

Ich bin Priester für immer. Es ist unmöglich das zu ändern, das kann man mir nicht nehmen.

Die Kirche kann das Sakrament des Priestertums nicht rückgängig machen oder aufheben, wie die klassische katholische Theologie lehrt. Sie kann mir nur verbieten als Priester in der Kirche zu arbeiten.

Ihr Coming out vor ziemlich genau einem Jahr, kurz vor der Synode, hat Schlagzeilen gemacht. Was hat sich seither für Sie persönlich verändert?

charamsa-2Das ist richtig, ganz genau am 3. Oktober 2015, einen Tag vor der Familiensynode. Das persönliche „Coming out“ war für mich zunächst eine Befreiung, sozusagen die Wiedererlangung meiner Würde. Die war gekränkt von der Kirche durch das, was sie zur Homosexualität lehrt. Es war auch eine Befreiung von der Lüge gegenüber der Kirche im Hinblick auf meine geschlechtliche Orientierung. Eine echte Wiedergeburt.

„Coming out“ ist für mich nur ein anderes Wort für die Annahme der eigenen Natur, sozusagen eine Heilung. Diese Annahme der eigenen Natur machte Jahren von unnötigem Leiden, von Angst und Selbsthass ein Ende. Die Kirche hatte mich getäuscht, wie sie Millionen von Homosexuellen täuscht. Und sie will sich in diesem Punkt nicht bekehren. Also musste ich mich von diesem irrationalen Gefängnis befreien. Ich musste zur Kirche sagen: ich bin schwul und erdulde nicht länger eure Beleidigungen und Lügen im Hinblick auf Homosexuelle.

Was hat sich in der katholischen Kirche verändert? Hatte das Coming out einen Einfluss auf die Ergebnisse der Synode?

In dieser Situation hatte das Coming out ein größeres Schwergewicht. Aber unabhängig davon: jedes Coming out ist wichtig um die Homophobie in der Kirche zu bekämpfen. Die Früchte werden sich aber erst in Zukunft zeigen.

Es war unmöglich, in der Synode etwas zu ändern. Die Ergebnisse jener Synode standen schon fest, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Das Thema der Homosexualität wurde als unwichtig erachtet und es wurde von der Synode gestrichen bevor man angefangen hat, darüber zu reden.

Ich hatte noch eine persönliche Hoffnung in Papst Franziskus gesetzt, der hat aber die Homophobie der Kirche nur bestätigt. Heute ist seine Position völlig verworren, nicht zugreifen und daher noch schlechter als die seiner Vorgänger, die wenigstens eindeutig gesprochen haben.

Dieser Wirrwar im päpstlichen Reden ist aber nur Abbild einer geistigen Krise der katholischen Kirchen überhaupt. Die Menschen sind heute ratlos, was Kirche und Papst Franziskus nun wirklich zur Homosexualität sagen, wie sie sie einschätzen. Dadurch hemmt sie einen echten Fortschritt, der den Menschenrechte weltweit und nachhaltig zu ihrer Geltung verhelfen könnte.

charamsa-3Wir haben uns einst, beide als konservative Theologen, kennen gelernt: Ihr Buch über die Unveränderlichkeit Gottes war auch eine indirekte Kritik an der progressiven Theologie, die Gott, der das Sein selbst ist („ipsum esse subsistens“), in den Strudel der Geschichtlichkeit zieht. Können Sie damit heute noch etwas anfangen?

Richtig: Ich war konservativer Theologe. Paradoxerweise hatte das einen Zusammenhang mit meiner verleumdeten Homosexualität, die doch von der Kirche als pathologisch, als eine Krankheit beleidigt wurde. Ich nenne das das katholische „Closet“*: Gemeint ist damit die konservative Theologie, in die man sich vor den Fragen der Wirklichkeit zurückziehen kann. Ich versteckte mich in der Zeitlosigkeit des Göttlichen, frei von den konkreten Fragen der Zeit. Heute ergänze ich diese einseitige Sicht durch den Begriff der Geschichte. Der ermöglicht mir eine dynamische Sicht auf das menschliche Wesen, seine Natur, die Entwicklung des Gewissens, usw. Alle diese Begriffe werden nicht ausreichend von der konservativen Theologie beachtet.

Heute ist das größte Problem, dass es keinen ernsthaften Dialog der Theologie mit den menschlichen Wissenschaften gibt. Ein Grund dafür ist eine paranoide Verschlossenheit und eine Angst von der Kirche.

Die konservative Theologie steht da wie eine „Mauer“, die die notwendigen Reformen verhindert – mit ihren Begriffen wie „menschliche Natur, Geschlechtlichkeit, sexuelle Orientierung, Gender-Identity, usw. Die Kirche hat Angst davor, ihre Doktrinen und Positionen im Licht der Vernunft zu prüfen. Das gleiche Problem hatte sie schon einmal mit Kopernikus und mit Darwins Evolutionstheorie …

In Italien ist Ihr nach dem Coming out angekündigtes Buch bereits erschienen: „La prima pietra“ – „Der Grundstein“ – Wird es die Fundamente der katholischen Kirche erschüttern?

Nein, Ich kann die Fundamente der katholischen Kirche gar nicht erschüttern. Ich will, dass die katholische Kirche einen echten Dialog über Geschlechtlichkeit und Liebe beginnt, einen Dialog, der die Menschenrechte zum Maßstab nimmt und die Interessen gleichgeschlechtlich liebender Menschen nicht einfach ignoriert.

Mein Buch ist eine menschliche Geschichte, die Geschichte von der schwersten Entscheidung meines Lebens. Die Entscheidung, sich selbst treu zu sein, den Glauben zu erhalten und bei der Wahrheit zu bleiben.

Es ist ein Buch über das Gewissen, über die Freiheit zur Liebe und über den Glauben. Im Mittelpunkt, sozusagen als Leitmotiv des Buches, steht der Konflikt zwischen dem Individuum und einer Institution, die die Wahrheit des Individuums leugnet. In dieser Fall einer Institution, der katholischen Kirche, die die Würde eines schwulen Mannes leugnet. Aber er ist exemplarisch, es geht hier um universale Probleme, Konflikte und Werte. So ist mein Buch eine Reise in das spannungsreiche Gefüge, das aus dem Gewissen der Person (Ich) auf der einen und dem Gewissen der katholischen Kirche (Gemeinde und Institution: eine kollektiv Person) auf der anderen Seite, besteht.

Ich höre hier noch immer den Philosophen und Theologen sprechen, dem die kirchliche Ausbildung ein Instrumentar an Worten und Gedanken zur Verfügung gestellt hat, aus denen er nun weiterhin schöpfen kann. Etwas das ich ganz ähnlich erlebe und wofür ich der Catholica dankbar bin.  

Aber kommen wir noch einmal auf den Titel zu sprechen: er ist mir nach wie vor unklar!

charamsa-prima-pietraDieser Titel „Der Grundstein“ hat verschiedene biblische Bezüge. Der erste Bezug ist der „Eckstein“. Jesus sagt: „Dies ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben, und der zum Eckstein geworden ist.“ (Ps. 118,22 in Mt. 21,42-44). Er hat dieses Wort gegen die religiösen Autoritäten der damaligen Zeit gerichtet. Das „Coming out“ ist der „Eckstein“ eines glücklichen Leben für jeden Homosexuellen. Und so ist es auch seine moralische, gesellschaftliche und kirchliche Pflicht.

So wird es zum „Eckstein“ (von Natur), den die kirchliche Bauleute verworfen haben. Der Titel meines Buches ist tatsächlich ein christologischer, biblischer und ökumenischer Titel.

Es ist ein Weckruf an die katholische Kirche, über die Wirklichkeit nachzudenken. Ein Aufruf, endlich den Leiden ein Ende zu bereiten, die die katholische Kirche im Leben der Menschen auch durch ihre Homophobie hervorruft bzw. in Kauf nimmt.

Auch wenn das hier vielleicht ein bisschen so klingt, kann ich sagen: Mein Buch ist nicht für die Spezialisten, für professionelle Philosophen oder Theologen geschrieben, sondern ich habe mich bemüht, es wie einen Roman unterhaltsam und verstehbar für alle zu schreiben: für Christen und für die Atheisten, für Homosexuelle und Heterosexuelle….

Sie kommen aus Polen, leben nun in Barcelona, die Originalausgabe Ihres Buches ist in Italien erschienen. Das ist tatsächlich aber kein ausschließlich italienisches, polnisches oder spanisches Thema. Wann dürfen wir die deutsche Ausgabe in Händen halten?

Ich hoffe bald! Und ich bin gespannt auf die Gespräche mit den deutschen Leser und Leserinnen. Ausgaben in anderen Sprachen werden aber unter den Verlegern verhandelt.

Hier gibt es nähere Informationen zu dem neuen Buch Charamsas: -> Verlag Rizzoli 

Zur Homepage von Krzysztof Charamsa: -> www.kcharamsa.com

* „Closet“: engl. Schrank – „Out of the closet“ / „Aus dem Schrank“ zu kommen, ist der Ausdruck, dem man in der englischsprachigen Welt synonym zum Begriff „Coming out“ verwendet.

Fotos: Vorschaubild © Screenshot youtube (https://www.youtube.com/watch?v=BvaDp_I2H2w). Fotos im Text: © Eduard Planas — Coverphoto (c) Rizzoli 

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

Trending

VERWANDTE ARTIKEL